32. Sonntag Lesejahr B - Mk 12,38-44
Die Frage, die sich
mir beim Hören des Evangeliums
stellt ist die:
Wie kann ich als
Zuhörer, den mir ganz eigenen
Nutzen aus dem ziehen, was Jesus
über die Schriftgelehrten
sagt, und zwar so, dass es mein
ganz eigenes Leben
bereichert?
Dabei steht nicht in Frage,
was Jesus über diese Gruppe
der Schriftgelehrten behauptet.
Eugen Drewermann kommentiert
es in seinen Ausführungen
zum Mk-Evangelium so:
„Es muss Jesus ein Unding
erschienen sein, wenn zu seiner
Zeit die Schriftgelehrten das Wort
Gottes dazu benutzten, um untereinander
zu konkurrieren, gegeneinander zu
argumentieren und durch
wechselseitige Profilierung
voneinander zu profitieren.
…
Wenn es schon der „Talare“
bedarf, um die autoritäre
Wichtigkeit eines solchen
Standes notorischer Wichtigtuer
zu unterstreichen, dann kann man
sicher sein, dass hier, unter dem
Vorwand, Gott erklären und auslegen
zu wollen, Gott auf groteske Weise
zum Narren gehalten wird.“
Nun wundert mich
gar nichts mehr an der
Haltung Jesu gegenüber
dieser Gruppe der Schriftgelehrten
und auch der Gesetzeslehrer und
der Pharisäer, die ja
für ihn um keinen Deut
besser gewesen sind.
Doch ich will mich nicht
gedanklich in diese Richtung
verlieren. Noch einmal:
Wie kann ich als
Zuhörer, den mir ganz eigenen
Nutzen aus dem ziehen, was Jesus
von den Schriftgelehrten
sagt, und zwar so, dass es mein
ganz eigenes Leben
bereichert?
Ich bleibe dieses Mal bei
der Betrachtung des heutigen
Evangeliums bei dem sehr
eindringlichen Satz stehen:
„Sie fressen die Häuser
der Witwen auf.“
In diese Richtung
möchte ich heute gerne
weiterdenken.
Das Haus ist für
viele, auch für Jesus selbst,
ein Bild für das Leben.
Ich erinnere mich an die
Worte vom Haus auf dem
Felsen, das vor dem Regeneinbruch
sicher gewesen war. Und ich
erinnere mich an das Haus,
das auf Sand gebaut war
und vom Regen einfach
weggespült wurde.
Hinter diesem Gleichnis Jesu
verbirgt sich die Frage, worauf
ich mein Leben baue, was seine
Unterlage, sein Fundament
ist.
„Sie fressen die Häuser
der Witwen auf.“
Was ist für mich
persönlich „Schriftgelehrter“ in
einem übertragen Sinn?
Was ist es, das mein Leben
auffrisst, das an meinem
Leben nagt, das mich so
sehr unter Druck setzt,
das ich an diesem Leben
fast verzweifeln möchte
oder unter seinen
Umständen leide.
Ist es meine Arbeit,
die mich unzufrieden sein
lässt?
Ist es meine Partnerschaft,
die mich unglücklich macht?
Ist es mein gesundheitliches
Eingeschränktsein, das mir
Lebensqualität nimmt?
Ist es, dass ich nicht um
die Richtung weiß,
die mein Leben
nehmen soll?
Ist es, dass ich am Zustand
dieser Welt und des Menschen
grundsätzlich leide?
Sind es Gedanken und ganz
eigene Vorstellungen von Gesetz
und Ordnung und Lebenshaltung
und Einstellungen, die sich zwischen
mich und meine Berufung zum
Leben stellen?
„Sie fressen die Häuser
der Witwen auf.“ Was frisst
mich auf? Lastet auf mir?
Macht mir das Leben
schwer? Raubt mir den
Schlaf? Verhüllt mir
den Sinn, den mein
Leben finden soll?
Und was kann es
für mich bedeuten, mit dem
Blick auf all das, achtsam und
vorsichtig zu sein und mich nicht
von den Widerwärtigkeiten
und Widersprüchlichkeiten
meines Lebens zum Narren
machen zu lassen, mich
irritieren zu lassen, mich
verrückt machen und in
die Enge treiben
zu lassen?
Eugen Drewermann
schreibt in seinem Markuskommentar:
„Es ist und bleibt die ewige Frage
der menschlichen Geschichte,
von welchen Mächten wir uns
im letzten bestimmen lassen.“
Jetzt finden wir wieder
zum Evangelium zurück
und zu dem, was Jesu Meinung
über das Leben und seine
Verstrickungen ist, das eben,
was es auffressen will –
ausgedrückt in dem Bild
des Schriftgelehrten.
Jesus meint, auch mit dem
Blick auf die Schriftgelehrten:
Bleibt menschlich.
Bleibt wahr.
Bleibt gütig.
Weicht nicht aus in die Macht,
in die Lüge, in die Zerstörung.
Vielmehr wisst euch von
Gott geliebt und dass
ihr allein von ihm her,
eure Angst besiegen
und als freie Menschen
leben könnt.
Jeder Mensch, der
gelernt hat, diese Angst,
all das ihn Zerfressende
und Zerstörende in sich
selbst zu besiegen, wird
umso gefestigter und geschlossener
den Widersprüchen seiner
Umgebung entgegentreten
können.
Es gibt in unserer Seele
keine Macht, die stärker
wäre, als die Haltung eines
grundlegenden Vertrauens,
wie es einzig und allein
der Glaube schaffen
kann.
Es ist im Letzten das Verhältnis
zu Gott, das darüber entscheidet,
in welch einem Verhältnis
ich zu meinem Leben
stehe und all dem,
was mir zu einer
Bedrohung werden
will.
Nehmen wir uns in Acht,
nur wir allein
können um den Weg
unseres Lebens wissen, den
Gott bereit ist, mit uns
zu gehen. Er wird es
keinem Schriftgelehrten,
keinem System und
keiner Institution erlauben,
sich zwischen ihn und
uns zu stellen, zu keiner
Zeit.