Ökumenischer Gottesdienst der Gastfreundschaft
Bild: Enrst Alt
Die Bibelwoche
gibt das Thema
vor, das auch über
diesem Gottesdienst
stehen soll:
„Wenn wir vor Gott liegen.“
Beim Lesen dieses Satzes
tauchen in mir innere Bilder auf.
Sie erinnern mich zunächst an meine
Priesterweihe vor 33 Jahren.
Bei der Weihehandlung während
des Gottesdienstes kommt der
Augenblick, in dem der zu Weihende
ausgestreckt auf dem Boden
der Kathedrale liegt.
Für mich persönlich ein Zeichen
der vorbehaltlosen und absoluten
Hingabe meines Lebens an den
Gott, der mir Leben verheißt,
seinen Segen gibt und mir
Zukunft garantiert.
Ein Gebet ging mir damals durch
meine Gedanken, das diesen
Moment gut zusammenfasst:
„Nimm alles von mir,
was mich fernhält von dir.
Gib alles mir, was mich
hinführt zu dir.
Mein Herr und mein Gott,
nimm mich mir und gib mich
ganz zu eigen dir.“
Diese Worte gehen auf
ein Gebet Nikolaus von der Flüe
zurück.
Da zu liegen, auf dem
Boden, die Arme
ausgestreckt und
die Zeilen dieses Gebetes
in meinen Gedanken,
das war ein ergreifender
Moment in meinem
Leben gewesen und
das ist er immer noch,
wenn ich an die Liturgie
des Karfreitags denke.
Auch hierbei legt
der Priester sich zu Beginn
der Feier ausgestreckt
auf den Boden und verweilt
dort eine Weile still
im Gebet.
Dieser Moment vor Gott,
fasst zusammen, wie ich mein
Leben vor Gott begreifen will:
Als eine vorbehaltlose Gabe
an ihn, verbunden mit der
Bitte, dass er mich ganz
anzunehmen bereit ist
und mir treu zur
Seite steht, bei all
dem, was immer mir
auch in meinem Leben
geschieht.
Wenn wir vor Gott liegen.
Es gibt nicht wenige,
die diese Haltung auch
bei ihrem ganz alltäglichen
Gebet einnehmen.
Für manchen unter uns
möglicherweise ungewohnt
und fremd anmutend,
für andere jedoch Ausdruck
höchster Selbsthingabe
an den einen Gott,
der ihr Leben in seinen
Händen hält.
Eine solche äußere Hingabe,
spiegelt zugleich auch etwas
von der inneren Haltung eines
Menschen wieder und macht
diesen Moment zu seinem
sehr dichten, wesentlichen,
ergreifenden Moment,
der ihn nicht unberührt
lassen kann.
Vielleicht finden Sie selbst
einmal die Möglichkeit, dieses
Liegen vor Gott
zu üben.
Achten sie dabei
zunächst auf Ihren Atem.
Atmen Sie langsam ein
und auch wieder aus.
Und dann achten Sie
auf ihr Körpergefühl.
Spüren Sie, was
in Ihnen und mit ihnen
in diesem Moment passiert,
wenn Sie vor Gott
liegen. Und versuchen
Sie, sich ganz loszulassen.
Mit jedem Ausatmen ein
Stück weit mehr.
Wenn wir vor Gott liegen.
Natürlich weckt dieser
Satz noch ganz andere
Assoziationen in mir.
Etwa wie:
Wenn wir am Boden liegen.
Nur am Boden liegen
und nicht mehr und
auch nicht weniger.
Für viele ist dies ein
Ausdruck absoluter Hilflosigkeit.
Der so viel sagt wie:
„Ich kann nicht mehr.
Ich habe keine Kraft mehr.
Ich kann nicht mehr aufrecht stehen.
Ich komme nicht mehr weiter.
Ich habe keinen Halt mehr.
Niemand ist da, der mir
die Hand zum Aufstehen
reicht.“
Das ist bei weitem
etwas anderes als das,
was ich mit dem Satz:
„Wenn wir vor Gott liegen“
assoziiere. Etwas ganz
anderes.
Kennen Sie solche
Augenblicke, in denen
Sie keinen Halt mehr
unter Ihren Füßen spürten
und Ihnen der Boden geradezu
wie weggezogen vorgekommen
ist? Eine solche Erfahrung
wünscht man keinem
Menschen.
Und dennoch hält das
Leben immer wieder solche
Erfahrungen für uns bereit.
Ob wir es nun wollen oder
nicht. Sie kommen ziemlich
unerwartet. Schleichen sich
oftmals von hinten an
und zwingen einen
zum Fall.
Eine unerwartete Kündigung.
Eine überraschende und
nahegehende Kritik,
aus welchem Umfeld auch immer.
Konflikte mit nahestehenden
Menschen.
Eine schwere Erkrankung,
mit der niemand gerechnet
hat, am wenigsten man selbst.
Ein Unfall oder der Tod
eines Familienangehörigen
oder eines Freundes.
Die Trennung von einem
Partner.
Erfahrung von Gewalt
oder Missbrauch.
Für ich persönlich sind es
die mich überwältigenden
und zu tiefst schmerzenden und zum
Fremdschämen veranlassenden
Nachrichten über unsere
Kirche, das Versagen
ihrer Vertreter und auch
vieler unter uns.
Das Buch Daniel
assoziiert mit der Erfahrung
des am Bodenliegens die
vorübergehende Existenz-
und Identitätskrise
des Volkes Israel und die
Zerstörung seines Heiligtums.
Seine Verschleppung ins Exil.
Die Demütigungen unter
den Einflüssen fremder
Herrscher, fernab seiner
Heimat.
Daniel bekennt das
eigene Verschulden seines
Volkes an dieser Situation.
Er klagt dabei sich auch
selbst an und bittet Gott
um Erbarmen:
„Mein Gott verschließe
dein Ohren nicht!
Öffne deine Augen und
sieh auf die Trümmer
Jerusalems! Sieh auf die
Stadt, die dir gehört!“
Im selben Moment steht
ihm ein Engel zur Seite
und erschließt ihm
Zusammenhänge, die
für ihn zuvor noch
nicht zu begreifen
gewesen waren:
Dass die Zeit des Schreckens
noch lange nicht vorbei sein
wird.
Dass zwar wieder eine
Zeit des Aufatmens und
des Aufbruchs kommen wird.
Dass dieser jedoch auch wieder
eine Zeit der Bedrängnis und
der Verwüstung folgt.
Dass Gott zu seinem
Volk stehen wird, auch
wenn es Momente gibt,
in denen es am Boden
liegt.
Dass sich jedoch am Ende
Gottes Macht und Erbarmen
zeigen wird über alle
vermeintlichen Mächtigen
dieser Erde und ihrer
Einflüsse hinweg.
Dass Gott selbst seinem
Volk die Hand entgegenreichen und
es aus der Tiefe herausziehen
wird.
Ich weiß nicht ob es Ihnen
ein Trost sein kann, zu wissen,
dass Sie, wenn Sie denn einmal
am Boden liegen, immer
vor Gott liegen und
dass er Sie sieht und
dass er Sie nicht aufgibt und
dass er Sie retten wird, aus allem,
was Sie in Ihrem Leben
niedergedrückt und
gefangen hält.
Darin besteht für mich
der Unterschied zwischen
den beiden Aussagen:
„Wenn wir vor Gott liegen“
und, „wenn wir am Boden
liegen“.
Ersteres beinhaltet
für mich einen Moment
des Vertrauens und des Hoffens
auf etwas Größeres, in dessen
Händen mein Schicksal liegt,
während das andere jede
Form von Zuspruch
vermissen lässt.
Das Buch Daniel lädt
ein, alles was Geschichte und
Leben des Menschen ist, jedes
Auf und jedes Ab im Leben, in
einem Verhältnis zu Gott
und seinem Wirken
an dieser Welt und am
Menschen zu begreifen.
Zu begreifen, dass
Gott sich am Ende immer
als der Retter zeigen
wird.
Der Beter eines Psalms
bringt dies sehr eindringlich
ins Wort:
„Ich hoffe auf den Herrn,
es hofft meine Seele, ich
warte auf sein Wort.
Meine Seele wartet auf
meinen Herrn, mehr
als Wächter auf den
Morgen. Israel warte
auf den Herrn, denn beim
Herrn ist die Huld,
bei ihm ist Erlösung in
Fülle. Ja, er wird Israel
erlösen.“ (Ps 130)
Ist es nicht ein großer
Unterschied, ob ich mit dieser
Hoffnung am Boden liege,
oder ohne sie?
Ob ich versuche, mein Leben
und all seine Herausforderungen
mit oder ohne diese Hoffnung
zu leben?
Es ist ein Bild,
das vor meinem inneren
Auge entsteht. (siehe Bild oben)
Ein Bild
des Künstlers Ernst Alt.
Es zeigt Jeremia in
der Schlammzinsterne.
Tief auf dem Boden
der Zisterne sitz er,
in sich völlig zusammen-
gefallen. Jeremia ist
völlig am Ende.
Mehr tot als lebendig.
Seine Hände hängen
schlaff und müde in
seinem Schoß.
Mehr kann ein Mensch
nicht am Boden liegen,
als Jeremia in diesen
Augenblicken.
Da plötzlich, bahnt
sich ein neuer Beginn.
Eine Lichtparabel von oben.
Dieses Licht ist nicht
inszeniert, nicht organisiert.
Kein Zutun des Menschen.
Keine Leistung. Einfach
nur Geschenk.
Und Jeremia lässt Gott
sprechen:
„Denn ich, ich kenne die
Gedanken, die ich für euch
denke – Gedanken des Heils
und nicht des Unheils; denn
ich will euch eine Zukunft
und eine Hoffnung geben.“
(Jer 29,11)
Es gibt für mich
im Augenblick kein besseres
Bild, das zusammenfassen
könnte, was es bedeutet,
vor Gott zu liegen.
Nicht für mich persönlich.
Für die Kirche nicht und
auch nicht für die Gemeinschaft
derer, die mit ihr am Boden
liegt.
Möge es für Sie
keinen Tag geben, an dem
Sie sagen müssen, niemand
ist da, der Ihnen die Hände
reicht; niemand ist da,
der mit Ihnen Wege geht;
niemand ist da, der Sie mit
Kraft erfüllt; niemand ist da,
der Ihnen die Hoffnung stärkt;
niemand ist da, der Sie mit
Geist erfüllt; niemand ist
da, der Ihnen das Leben
schenkt.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als Ihre
Vernunft, der halte Ihren
Verstand wach und Ihre
Hoffnung groß
und stärke Ihre
Liebe.