Wenn wir vor Gott liegen

Wenn wir vor Gott liegen - Dan 9,1-6;18-27



Ökumenischer Gottesdienst der Gastfreundschaft

Bild: Enrst Alt

Die Bibelwoche

gibt das Thema

vor, das auch über

diesem Gottesdienst

stehen soll:


„Wenn wir vor Gott liegen.“


Beim Lesen dieses Satzes

tauchen in mir innere Bilder auf.

Sie erinnern mich zunächst an meine

Priesterweihe vor 33 Jahren.


Bei der Weihehandlung während

des Gottesdienstes kommt der

Augenblick, in dem der zu Weihende

ausgestreckt auf dem Boden

der Kathedrale liegt.


Für mich persönlich ein Zeichen

der vorbehaltlosen und absoluten

Hingabe meines Lebens an den

Gott, der mir Leben verheißt,

seinen Segen gibt und mir

Zukunft garantiert.


Ein Gebet ging mir damals durch

meine Gedanken, das diesen

Moment gut zusammenfasst:


„Nimm alles von mir,

was mich fernhält von dir.

Gib alles mir, was mich

hinführt zu dir.

Mein Herr und mein Gott,

nimm mich mir und gib mich

ganz zu eigen dir.“


Diese Worte gehen auf

ein Gebet Nikolaus von der Flüe

zurück.


Da zu liegen, auf dem

Boden, die Arme

ausgestreckt und

die Zeilen dieses Gebetes

in meinen Gedanken,

das war ein ergreifender

Moment in meinem

Leben gewesen und

das ist er immer noch,

wenn ich an die Liturgie

des Karfreitags denke.


Auch hierbei legt

der Priester sich zu Beginn

der Feier ausgestreckt

auf den Boden und verweilt

dort eine Weile still

im Gebet.


Dieser Moment vor Gott,

fasst zusammen, wie ich mein

Leben vor Gott begreifen will:

Als eine vorbehaltlose Gabe

an ihn, verbunden mit der

Bitte, dass er mich ganz

anzunehmen bereit ist

und mir treu zur

Seite steht, bei all

dem, was immer mir

auch in meinem Leben

geschieht.


Wenn wir vor Gott liegen.


Es gibt nicht wenige,

die diese Haltung auch

bei ihrem ganz alltäglichen

Gebet einnehmen.


Für manchen unter uns

möglicherweise ungewohnt

und fremd anmutend,

für andere jedoch Ausdruck

höchster Selbsthingabe

an den einen Gott,

der ihr Leben in seinen

Händen hält.


Eine solche äußere Hingabe,

spiegelt zugleich auch etwas

von der inneren Haltung eines

Menschen wieder und macht

diesen Moment zu seinem

sehr dichten, wesentlichen,

ergreifenden Moment,

der ihn nicht unberührt

lassen kann.


Vielleicht finden Sie selbst

einmal die Möglichkeit, dieses

Liegen vor Gott

zu üben.


Achten sie dabei

zunächst auf Ihren Atem.

Atmen Sie langsam ein

und auch wieder aus.


Und dann achten Sie

auf ihr Körpergefühl.

Spüren Sie, was

in Ihnen und mit ihnen

in diesem Moment passiert,

wenn Sie vor Gott

liegen. Und versuchen

Sie, sich ganz loszulassen.

Mit jedem Ausatmen ein

Stück weit mehr.


Wenn wir vor Gott liegen.


Natürlich weckt dieser

Satz noch ganz andere

Assoziationen in mir.

Etwa wie:


Wenn wir am Boden liegen.


Nur am Boden liegen

und nicht mehr und

auch nicht weniger.

Für viele ist dies ein

Ausdruck absoluter Hilflosigkeit.

Der so viel sagt wie:


„Ich kann nicht mehr.

Ich habe keine Kraft mehr.

Ich kann nicht mehr aufrecht stehen.

Ich komme nicht mehr weiter.

Ich habe keinen Halt mehr.

Niemand ist da, der mir

die Hand zum Aufstehen

reicht.“


Das ist bei weitem

etwas anderes als das,

was ich mit dem Satz:

„Wenn wir vor Gott liegen“

assoziiere. Etwas ganz

anderes.


Kennen Sie solche

Augenblicke, in denen

Sie keinen Halt mehr

unter Ihren Füßen spürten

und Ihnen der Boden geradezu

wie weggezogen vorgekommen

ist? Eine solche Erfahrung

wünscht man keinem

Menschen.


Und dennoch hält das

Leben immer wieder solche

Erfahrungen für uns bereit.

Ob wir es nun wollen oder

nicht. Sie kommen ziemlich

unerwartet. Schleichen sich

oftmals von hinten an

und zwingen einen

zum Fall.


Eine unerwartete Kündigung.

Eine überraschende und

nahegehende Kritik,

aus welchem Umfeld auch immer.

Konflikte mit nahestehenden

Menschen.

Eine schwere Erkrankung,

mit der niemand gerechnet

hat, am wenigsten man selbst.

Ein Unfall oder der Tod

eines Familienangehörigen

oder eines Freundes.

Die Trennung von einem

Partner.

Erfahrung von Gewalt

oder Missbrauch.


Für ich persönlich sind es

die mich überwältigenden

und zu tiefst schmerzenden und zum

Fremdschämen veranlassenden

Nachrichten über unsere

Kirche, das Versagen

ihrer Vertreter und auch

vieler unter uns.


Das Buch Daniel

assoziiert mit der Erfahrung

des am Bodenliegens die

vorübergehende Existenz-

und Identitätskrise

des Volkes Israel und die

Zerstörung seines Heiligtums.

Seine Verschleppung ins Exil.

Die Demütigungen unter

den Einflüssen fremder

Herrscher, fernab seiner

Heimat.


Daniel bekennt das

eigene Verschulden seines

Volkes an dieser Situation.

Er klagt dabei sich auch

selbst an und bittet Gott

um Erbarmen:


„Mein Gott verschließe

dein Ohren nicht!

Öffne deine Augen und

sieh auf die Trümmer

Jerusalems! Sieh auf die

Stadt, die dir gehört!“


Im selben Moment steht

ihm ein Engel zur Seite

und erschließt ihm

Zusammenhänge, die

für ihn zuvor noch

nicht zu begreifen

gewesen waren:


Dass die Zeit des Schreckens

noch lange nicht vorbei sein

wird.

Dass zwar wieder eine

Zeit des Aufatmens und

des Aufbruchs kommen wird.

Dass dieser jedoch auch wieder

eine Zeit der Bedrängnis und

der Verwüstung folgt.

Dass Gott zu seinem

Volk stehen wird, auch

wenn es Momente gibt,

in denen es am Boden

liegt.

Dass sich jedoch am Ende

Gottes Macht und Erbarmen

zeigen wird über alle

vermeintlichen Mächtigen

dieser Erde und ihrer

Einflüsse hinweg.

Dass Gott selbst seinem

Volk die Hand entgegenreichen und

es aus der Tiefe herausziehen

wird.


Ich weiß nicht ob es Ihnen

ein Trost sein kann, zu wissen,

dass Sie, wenn Sie denn einmal

am Boden liegen, immer

vor Gott liegen und

dass er Sie sieht und

dass er Sie nicht aufgibt und

dass er Sie retten wird, aus allem,

was Sie in Ihrem Leben

niedergedrückt und

gefangen hält.


Darin besteht für mich

der Unterschied zwischen

den beiden Aussagen:


„Wenn wir vor Gott liegen“

und, „wenn wir am Boden

liegen“.


Ersteres beinhaltet

für mich einen Moment

des Vertrauens und des Hoffens

auf etwas Größeres, in dessen

Händen mein Schicksal liegt,

während das andere jede

Form von Zuspruch

vermissen lässt.


Das Buch Daniel lädt

ein, alles was Geschichte und

Leben des Menschen ist, jedes

Auf und jedes Ab im Leben, in

einem Verhältnis zu Gott

und seinem Wirken

an dieser Welt und am

Menschen zu begreifen.

Zu begreifen, dass

Gott sich am Ende immer

als der Retter zeigen

wird.


Der Beter eines Psalms

bringt dies sehr eindringlich

ins Wort:


„Ich hoffe auf den Herrn,

es hofft meine Seele, ich

warte auf sein Wort.

Meine Seele wartet auf

meinen Herrn, mehr

als Wächter auf den

Morgen. Israel warte

auf den Herrn, denn beim

Herrn ist die Huld,

bei ihm ist Erlösung in

Fülle. Ja, er wird Israel

erlösen.“ (Ps 130)


Ist es nicht ein großer

Unterschied, ob ich mit dieser

Hoffnung am Boden liege,

oder ohne sie?

Ob ich versuche, mein Leben

und all seine Herausforderungen

mit oder ohne diese Hoffnung

zu leben?


Es ist ein Bild,

das vor meinem inneren

Auge entsteht. (siehe Bild oben)

Ein Bild

des Künstlers Ernst Alt.

Es zeigt Jeremia in

der Schlammzinsterne.

Tief auf dem Boden

der Zisterne sitz er,

in sich völlig zusammen-

gefallen. Jeremia ist

völlig am Ende.

Mehr tot als lebendig.

Seine Hände hängen

schlaff und müde in

seinem Schoß.


Mehr kann ein Mensch

nicht am Boden liegen,

als Jeremia in diesen

Augenblicken.


Da plötzlich, bahnt

sich ein neuer Beginn.

Eine Lichtparabel von oben.

Dieses Licht ist nicht

inszeniert, nicht organisiert.

Kein Zutun des Menschen.

Keine Leistung. Einfach

nur Geschenk.


Und Jeremia lässt Gott

sprechen:


„Denn ich, ich kenne die

Gedanken, die ich für euch

denke – Gedanken des Heils

und nicht des Unheils; denn

ich will euch eine Zukunft

und eine Hoffnung geben.“

(Jer 29,11)


Es gibt für mich

im Augenblick kein besseres

Bild, das zusammenfassen

könnte, was es bedeutet,

vor Gott zu liegen.


Nicht für mich persönlich.

Für die Kirche nicht und

auch nicht für die Gemeinschaft

derer, die mit ihr am Boden

liegt.


Möge es für Sie

keinen Tag geben, an dem

Sie sagen müssen, niemand

ist da, der Ihnen die Hände

reicht; niemand ist da,

der mit Ihnen Wege geht;

niemand ist da, der Sie mit

Kraft erfüllt; niemand ist da,

der Ihnen die Hoffnung stärkt;

niemand ist da, der Sie mit

Geist erfüllt; niemand ist

da, der Ihnen das Leben

schenkt.


Und der Friede Gottes,

der höher ist als Ihre

Vernunft, der halte Ihren

Verstand wach und Ihre

Hoffnung groß

und stärke Ihre

Liebe.

Share by: