Nein, die Situation,
in der unsere Kirche
sich befindet, ist nicht
zu vergleichen mit
der, in welcher die
Jünger Jesu sich
befinden.
Mit Nichten!
Sie ist so ganz anders.
Weniger hoffnungsvoll.
Weniger zuversichtlich.
Weniger aussichtsreich.
Die Jünger haben sich
zunächst zurückgezogen,
zugegeben auch aus
Angst vor den anderen,
jenen anderen Glaubens.
Und dennoch hatten
sie sich als Erwartende
eingeschlossen. Sie hatten
die Aussicht darauf,
dass noch etwas
auf sie zukommen
wird. Vielmehr
von oben auf sie
herab:
Der zugesagte Beistand.
Die verheißene Kraft.
Der Heilige Geist.
Diese Erwartung
haben viele unter uns
aufgegeben. Etliche
haben sich von Gemeinde
und Kirche zurückgezogen,
aber nicht als Erwartende,
vielmehr hilflos, voller Scham,
ohnmächtig, sprachlos,
verletzt, demotiviert und
kraftlos.
„Was soll ich tun,
wie soll ich reagieren,
wenn ich mich vor den
eigenen Nachbarn
verteidigen muss, warum
ich immer noch katholisch
bin und dieser Kirche
angehöre?“
Diese Frage eines
älteren Gemeindemitgliedes
hat mich in diesen Tagen
erreicht. Sie verrät Hilflosigkeit,
sie legt Unsicherheiten frei,
sie weist auf Beschämung
hin.
Ich bin mir sicher,
dass diese Frau mit ihrer
Frage nicht alleine da steht,
dass sie vielmehr für viele
unter uns steht, die
an unserer Kirche
verzweifeln und
leiden.
Was soll ich tun?
Wie soll ich reagieren?
Zunächst gar nichts.
Zunächst geht es darum,
die Situation so anzunehmen,
wie sie ist.
Ja, es gibt diese dunkle
Seite von Kirche. Es gibt diese
Schattenseiten:
Sexuellen Missbrauch.
Geistlichen Missbrauch.
Strukturen, die eher
menschenfeindlich sind,
als dass sie das Leben
eines Menschen fördern.
Es gibt Ausgrenzung.
Es gibt Intoleranz.
Es gibt Arroganz.
Es gibt Selbstüberhöhung.
Es gibt in dieser Kirche
Versagen, Schuld
und Sünde.
Möglicherweise
nicht mehr und nicht
weniger als anderenorts.
Aber gerade hier, in dieser
Kirche, sollte es all dies
nicht geben. Ist es
aber nicht.
Das aber verunsichert.
Das aber ruft Scham hervor.
Das aber bringt einen dazu,
immer mehr sich zurückzuziehen,
nur weit weg von allem,
was so unsäglich schrecklich
ist und an die Nieren geht.
Wir haben keinen
Grund, die Dinge schön zu reden,
möglicherweise sie zu verteidigen
und zu rechtfertigen.
Es ist, wie es war.
Es ist, wie es ist.
Es ist, wie es bleiben
wird. Denn es ist eine
Kirche aus Menschen,
die immerzu vor dem Hintergrund
ihrer eigenen Persönlichkeiten
handeln oder auch nicht,
die Gutes tun oder
auch nicht.
Wer immer uns diesen
Spiegel vorhält, der hat
Recht mit seiner Wahrnehmung.
Einer Feststellung, die ich
durchaus mit ihm teilen
kann.
Was soll ich tun?
Wie soll ich reagieren?
Zunächst gar nichts.
Vielmehr sollte ich
in mich gehen und
nachdenken. Mich
erinnern, sollte ich mich.
Es ist diese Erinnerung,
die mich zu stärken
vermag, neu zu orientieren,
wo doch so vieles ohne
Richtung zu sein scheint,
nicht nur in dieser Kirche,
aber doch auch hier.
Also erinnern Sie sich
an Ihre guten Erfahrungen
mit der Gemeinschaft
der Gläubigen. Es gibt nicht
nur diese eine Seite von Kirche,
die wir am liebsten
ausblenden möchten.
Es gibt auch Lichtblicke.
Erfahrungen, die uns sagen
lassen:
„Das war gut.
Dafür bin ich dankbar.
Das hat mir geholfen.
Das hat mich weitergebracht.
Dazu stehe ich noch heute.“
Welche guten Erinnerungen
haben Sie an Ihre ganz eigene
Zeit mit der Gemeinschaft
der Gläubigen?
Was macht für Sie persönlich
diese Gemeinschaft so wichtig,
so unverzichtbar, einmalig?
Was möchten Sie nicht
missen? Woran hängt
ihr Herz?
Die Jünger stoßen
Türen und Fenster auf.
Sie gehen auf die Straße
hinaus. Erzählen davon,
was ihnen wichtig ist.
Sie erzählen von
Gott und ihren
Erfahrungen mit
Gottes Sohn.
Und jeder hört sie.
Und jeder versteht sie.
Und viele schließen sich
den Jüngern an. Sie lassen
sich taufen. Brechen in
Begeisterung aus für
diesen neuen Weg,
der mit Jesus von
Nazareth begonnen
hat.
Was soll ich tun?
Wie soll ich reagieren?
Was sollen wir als Gemeinde tun?
Was sollen wir als Kirche tun?
Unsere Türen aufstoßen
und hinausgehen zu den
Menschen. Zunächst absichtslos
und nicht vereinnahmend.
Vielmehr interessiert an
einer Welt, die sich vor
der Kirchentür abspielt
und an Menschen, die
sich davor aufhalten
und die nicht weniger
als wir selbst, versuchen
ihr Leben zu bewältigen.
Deren Fragen sich
von den unsrigen nicht
wesentlich unterscheiden.
Als Gemeinde Christi
müssen wir eine Sprache finden,
die jeder und jede verstehen kann,
die niemanden ausschließt,
niemanden, der anders
denkt, der anders fühlt,
der anders empfindet.
Als Gemeinde Christi
müssen wir Worte sagen, die die Herzen
öffnen, die zu berühren vermögen
und den Menschen
zu verändern.
Keiner dieser Vorschläge führt
am einzelnen vorbei. Sie
können sich nur ereignen,
Wirklichkeit werden,
wenn ich mich selbst
einbringe und mir die
Frage gefallen lasse:
Habe ich Freude an
meinem Glauben?
Bin ich ein begeisterter
Christ?
Lebe ich diesen Glauben?
Und wenn ja, wie?
Spürt man mir
die Begeisterung an?
Und wenn ja, woran?
Wir können in vielem
dem System Kirche und seinen
Vertretern die Schuld nicht absprechen,
aber wir können und dürfen unsere
ganz eigene Verantwortung
auch nicht aus unseren
Händen geben. Sie muss
gelebt werden, und zwar
von dem, dem sie
zukommt, uns.
Alles andere
wäre nicht nur
zu kurz und einfach gedacht
und gehandelt. Das wäre
auch sehr fatal.
Rausgehen.
Glauben teilen.
Glauben leben.
Glauben feiern.
Räume öffnen für neue
Chancen und Möglichkeiten,
miteinander und auch ökumenisch
Kirche zu sein. Das Weltfremde hinter
sich lassen. Verbindendes suchen.
Die Trennung überwinden.
Aufstehen.
Aufstehen zum
Leben.
Jeder für sich.
Alle miteinander.
Darauf käme
es an.
Der Münsteraner
Religionssoziologe Detlef
Pollack sagt in diesem
Zusammenhang:
„Die Handlungsmöglichkeiten
der Kirchenspitze sind tatsächlich
gering. Alles, was sie sagt, wird
unter Verdacht gestellt.
Heilung und Aussöhnung werden
vermutlich nur möglich sein,
wenn Menschen, denen
der Glaube etwas bedeutet,
von den guten Erfahrungen
mit ihrer Kirche erzählen.
…
Möglicherweise können
nur die Gläubigen die
Kirche aus ihrem Tief
holen.“
Der Prophet Ezechiel
beschreibt ein Bild.
Tote Gebeine liegen
verstreut über eine
Ebene. Knochen, wohin
man schaut.
Eine Frage wird dem
Propheten gestellt.
Gott selbst stellt
sie:
„Können diese Gebeine
wieder lebendig werden?“
Der Prophet ist ratlos.
Das wisse nur er allein,
gibt Ezechiel als Antwort
zurück.
Daraufhin verheißt
Gott seinen Geist,
der alles, was
daniederliegt
zum Leben
erweckt.
Und plötzlich,
ganz unvermittelt,
werden die Gebeine
wieder mit Haut
überzogen, Leben
zieht dort ein,
wo zuvor nur
Tod zu erfahren
war. Und mit dem
Leben Gottes
Geist.
„Und siehe ein Beben:
Die Gebeine rückten
zusammen, Bein an Bein.
Und als ich hinsah,
siehe da waren Sehnen
auf ihnen, Fleisch umgab
sie und Haut überzog
sie von oben. Aber es
war kein Geist in ihnen.
Da sagte er, Gott, zu mir:
Rede als Prophet zum
Geist, rede prophetisch,
Menschensohn, sag zum
Geist: So spricht Gott,
der Herr: Geist komm
herbei von den vier
Winden! Hauch diese
Erschlagenen an, damit
sie lebendig werden …
und es kam der Geist in
sie. Sie wurden lebendig
und sie stellten sich
auf ihre Füße – ein großes
gewaltiges Heer.“ (Ez 37,3)
Kann diese Kirche
wieder lebendig werden?
Das weiß nur Gott.
Ich aber will es hoffen
mit all denen von Ihnen,
die ihr Hoffen noch
nicht aufgegeben
haben, die weiterhin
an eine neue Gestalt
von Gemeinde glauben
möchten und auferstehen
wollen in der Kraft des
Heiligen Geistes zudem,
wozu Gott seine
Kirche berufen
hat ...
Geist,
wärme du, was kalt
und hart, löse, was in sich
erstarrt, lenke, was den
Weg verfehlt.
Gib dem Volk, das
dir vertraut, das auf
deine Hilfe baut, deine
Gaben zum Geleit.
Lass es in der Zeit bestehen,
deines Heils Vollendung
sehn und der Freuden
Ewigkeit.