4. Ostersonntag

Herde ohne Hirte  - Joh 10,11-18


 

Das Bild weckt

Emotionen. Gefühle

ganz unterschiedlicher,

wenn nicht sogar

gegensätzlicher

Art.


Ich rufe mir

zunächst einen Psalm

in Erinnerung. Den Psalm

23. Vielen unter uns

ist er vertraut.


Wir beten ihn.

Wir singen ihn.

Wir lassen uns von

ihm in den Dunkelheiten

unseres persönlichen

Lebens gerne ansprechen,

von ihm Mut zusprechen,

beruhigen.


Es entstehen innere

Bilder von Geborgenheit.

Der Psalm scheint eine

Ursehnsucht von uns

Menschen zu befriedigen:

Die Sehnsucht nach

Schutz, nach Behütetsein,

nach Sicherheit.


Lassen Sie einmal

die Worte des Psalms an sich

heran; lassen Sie sich von

ihnen berühren. Spüren Sie

einmal nach, welche

Assoziationen er in

Ihnen wachruft:


„Der Herr ist mein

getreuer Hirt, nichts fehlt

mir, er ist gut.

Weil er mich leitet

und mich führt,

bleib ich in guter

Hut.


Muss ich auch dunkle

Wege gehen, so fürchte

ich mich nicht. Gott will

an meiner Seite stehn.

Er gibt mir Zuversicht.


Auf rechtem Pfade

führst du mich, bist bei

mir Tag und Nacht.

Mein Herr und Hirt,

ich preise dich ob

deines Namens Macht.


Du machst mir einen

Tisch bereit, stärkst mich

mit Brot und Wein.

Durch meines ganzes

Lebens Zeit darf Gast

bei dir ich sein.


Nur Huld und Güte

folgen mir, nichts fehlt

mir, du bist gut.

Weil du mich leitest

für und für, bleib ich

in guter Hut.“


Doch das Bild vom

guten Hirten ist brüchig

geworden. Es greift einfach

nicht mehr. Wer „Hirt“ sagt,

sagt auch „Schaf“. Und wer

möchte in Zeiten der

Emanzipation als solches

vereinnahmt werden?

Möglicherweise gar als

ein dummes Schaf

daherkommen?


Stichworte wie

Herde, Herdentrieb,

Stallgeruch kommen mir

in den Sinn. Vielen stinkt

das zu sehr. Schon viel

zu lange in ihrer Kirche.


Die Zeit des Gängelns

und Bevormundens ist

vorbei. Der Mensch, insbesondere

doch der mündige Christ, setzt

auf ein selbstbestimmtes

Leben, auch im Bereich

des Glaubens.


Damit wir es nicht

falsch verstehen und

die Worte des Evangeliums

in eine Richtung deuten,

in die zu gehen es uns

keineswegs weist:


Die Worte Jesu zielen

darauf ab, dass der Mensch

erwachsen wird, also

eigenverantwortlich zu denken,

zu handeln lernt, erst recht

in Sachen des Glaubens.


Der Hirte, wie ihn das

Evangelium versteht, will

uns Menschen nicht ins Ställchen

setzen oder gar an die Leine

nehmen. Das Gegenteil

ist vielmehr der Fall:


Jesus führt uns ins

Freie. Hier gibt er Halt,

Schutz vor jeder Gefahr.

Vor allem, was uns zum

Wolf werden kann.


Jesus ist nicht an

unserem Fleisch oder

unserer Wolle interessiert.

Es geht ihm um uns

als Menschen.

Er kennt uns.

Er ruft uns mit Namen.

Er steigt uns nach.

Er bleibt uns nah,

auch dann, wenn wir

uns von ihm entfernen.

Er setzt sein Leben

für uns ein.


Darin unterscheidet

er sich von einem

bezahlten Knecht.


Ich frage mich,

ob man dem Bild des

guten Hirten tatsächlich

nichts mehr abgewinnen

kann?


In einer Zeit zunehmender

Individualisierung, Vereinzelung,

Einsamkeit und zugleich dem

Bedürfnis nach Selbstverwirklichung,

scheint es mir einem grundlegenden

Bedürfnis nach Geborgenheit

zu entsprechen.


Menschen fragen nach.

Sie fragen: Wem kann ich

vertrauen? Wer hat Zeit

für mich? Wer gibt mir Halt?

Bei wem finde ich Obhut?

Diese Fragen entstehen

durch Misstrauen.

Und das wächst.

Gegenüber der Politik.

Gegenüber der Kirche.

Gegenüber Institutionen

grundsätzlich.


Das Evangelium lässt die

vielen Fragenden nicht allein.

Es kennt die Antwort:

Jesus.


Die Frage jedoch bleibt:

Können Menschen

das Bild vom guten Hirten

für sich in Anspruch

nehmen?


Zugegeben, es ist nicht

einfach in einem Atemzug

von Jesus als dem guten

Hirten und von den Hirten

der Kirche zu sprechen.


Jesus ruft jedes einzelne

Tier bei seinem Namen.

Er führt es hinaus.

Trifft das für die

Hirten der Kirche zu?


Die meisten Hirten

kennen ihre Tiere nicht

einmal mehr mit Namen.

Das ist ein einhergehendes Übel

mit der Zusammenlegung

so vieler einzelner Gemeinden

zu einer Großpfarrei.


Wäre das nicht die Stunde,

das Hirtenamt aller getauften

Christen neu zu entdecken?

Dem Bild des Hirten in

Jesu Absicht einen neuen

Inhalt zu geben -

und wenn

ja, welchen?


Möglicherweise, indem

wir als Einzelne und

als Gemeinde

Antworten geben

auf die Sehnsüchte

der Menschen, wie sie

Gisela Baltes ins Wort

bringt:

 

„Ich brauche einen,

der um mich weiß:

um meine Traurigkeiten,

meine Dunkelheiten,

meine Schuld.

 

Einen, der

meinen Namen kennt

und dessen Namen

ich kenne.

 

Ich brauche einen,

der mich versteht:

meine Sorgen,

meine Fragen,

meine Sehnsucht.

 

Einen,

der mich beim Namen ruft

und den ich rufen kann.

 

Ich brauche einen,

der für mich da ist,

der mich liebt,

ohne Vorbehalte,

so wie ich bin.

 

Einen,

der mich nicht im Stich lässt,

bei dem ich sicher bin.“

 

Wenn´s die Hirten

der Kirche nicht schaffen,

und darauf lässt auch

das unlängst

erschienene vatikanische

Schreiben über die unendliche

Würde des Menschen

schließen, dann müssen

die Christen

ran!

 

Keine Angst,

damit vertreiben wir

nicht den einen guten

Hirten. Das bleibt er,

Jesus, unwiderrufen.

 

Aber wir werden

nur so seinem Anliegen

gerecht, einander anzunehmen,

wie er uns angenommen

hat.

Wir werden nur so

unserer Berufung als Christen

gerecht, uns in Christi

Absicht, einander zuzuwenden

und uns um die Welt

zu sorgen, uns ihrer Nöte

anzunehmen.

 

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