Es ist wieder Krieg.
Und er ist so nah.
Die Bilder im Fernsehen
lassen die Entfernung
gegen null schrumpfen.
Wir sind live dabei.
Kein Wunder, dass
dies derart viel
auslöst.
Zum Beispiel die Frage:
„Wären Sie bereit, die
Freiheit, die Demokratie,
ihr Leben mit Waffengewalt
zu verteidigen?“ - Keine einfache
Frage. Gewiss nicht. An ihr
spalten sich die Geister.
Sicherlich.
„Das ist nicht meine
Verantwortung“, sagt ein
junger Mann, der für Militärisches
bisher keinen Platz hatte.
„Dafür gibt es ja Berufssoldaten,
Leute, die sich das als Beruf
aussuchen.“
Eine Frau, die auf dem Weg
durch die Stadt angesprochen
und mit dieser Frage konfrontiert
wird, gibt zur Antwort, dass sie
es sich sehr wohl vorstellen
könne, Molotowcocktails
zu basteln, wenn es darum
ginge, das Land zu verteidigen.
Ein älterer Mann erinnert
sich an seine Zeit bei der
Bundeswehr. Er wäre sofort
bereit, sein Land zu verteidigen,
auch wenn er im Moment
lieber auf Profis vertraut.
„Ich frage mich, wo die
Scharfschützen sind. Eine
Kugel reicht doch!“, ruft
ein anderer dazwischen.
„Wären Sie bereit, die
Freiheit, die Demokratie,
ihr Leben mit Waffengewalt
zu verteidigen?“ Keine einfache
Frage. Gewiss nicht. Schon
gar nicht vor dem Anspruch,
den die Heilige Schrift an uns
Christen heranträgt.
Der Blick auf die Passion
Jesu, seine Verurteilung,
sein Ausgeliefertsein, seine
Wehrlosigkeit auf dem
Weg nach Golgotha und
schließlich seinen Tod
macht eine Antwort
nochmals schwieriger
und lässt Sie zu einer einzigen
Herausforderung
werden.
„Er wurde bedrängt
und misshandelt,
aber er tat seinen Mund
nicht auf. Wie ein Lamm,
das man zum Schlachten
führt, und wie ein Schaf
vor seinen Schäfern
verstummt, so tat
auch er seinen Mund
nicht auf.“ (Jes 52,13 ff)
„Wären Sie bereit, die
Freiheit, die Demokratie,
ihr Leben mit Waffengewalt
zu verteidigen?“
Auch Menschen, die ansonsten
mit dem Glauben wenig zu tun
haben, erwarten sich Antworten
und vertrauen dabei auf die
moralische Autorität der
Religion, wenn es um
Krieg und Frieden geht.
Der Mainzer Bischof
Peter Kohlgraf meint:
„Ich glaube, dass aktuell
eine Situation ist, in der
vielen Menschen die Sprache
fehlt, und ich glaube,
dass das Gebet eine
sehr gute Sprache ist.
Das Gebet gibt den
Leidenden im Krieg
eine Stimme.“
In seinem Beten
und in seinem Rufen gibt
Christus den Menschen
eine Stimme, seine
Stimme:
„Vater, wenn du willst,
nimm diesen Kelch von mir!“ –
Wie viele unter uns wissen
sich diesen Worten zugetan,
wenn ein schweres Schicksal
auf ihren Schultern liegt?
„Vater vergib ihnen,
denn sie wissen nicht,
was sie tun.“ –
Wie viele tun sich schwer,
ihnen angetanes Unrecht
und Leid zu vergeben.
„Mein Gott, warum hast
du mich verlassen?“
Die Frage nach dem Warum
und dem Sinn von Leid
und all dem Bösen in dieser
Welt und unter Menschen,
stellt sich immer wieder.
„Vater in deine Hände lege
ich meinen Geist.“ Für viele
bleibt am Ende ein sich
vertrauendes Fallenlassen,
das alle Verkrampfung
und Festhalten aufzulösen
in der Lage ist. Aber nicht irgendein
Fallen und auch nicht irgendwohin.
Ein sich Anheimgeben an
Gott ist gemeint.
Pierre Stutz schreibt in
einem seiner Gedichte:
„Du bist die Quelle aller zärtlichen
Liebe, auch angesichts von Gewalt und Not
halte ich an meiner Hoffnung fest, dass
die Liebe stärker ist als der Tod.
Die Zerbrechlichkeit unseres Lebens,
sowie des ganzen Kosmos, bringt mich
manchmal ins Zweifeln, ob ein liebender
Grund uns trägt.
Diese Ungewissheit halte ich aus,
indem ich noch aufmerksamer alle
liebenden Spuren wahrnehme
in der brutalen Härte unseres Lebens.
All die Katastrophen und Erschütterungen
kommen auf gar keinen Fall von dir,
echte Liebe verwirklicht sich in
schöpferisch-begrenzter Freiheit.“
Für mich persönlich steht
fest: All das, was wir von
Christus gelernt haben, was
er uns als lebenswert
vorgelebt hat und
wozu er uns immer
wieder eingeladen
hat, dürfen wir
nicht über Bord
werfen.
Am Ende seines
Lebens ist auch für ihn
das Gebet die Möglichkeit,
sein Schicksal ins Wort
zu bringen und es Gott
hinzuhalten, in der
Hoffnung, dass er
in den Händen Gottes
Halt finden wird.
Halt und Erlösung.
„Wären Sie bereit, die
Freiheit, die Demokratie,
ihr Leben mit Waffengewalt
zu verteidigen?“
„Ich bin bereit für die
Demokratie und die Freiheit
zu sterben, aber ich bin nicht
bereit, dafür zu töten“,
sagt ein ehemaliger
Kriegsdienstverweigerer.
Das ist ein radikaler
Pazifismus, dem sich
sicherlich nicht alle
Christen anschließen
würden. So genau nimmt
man das mit der Religion
dann auch wieder nicht.
„Das Gebet gibt den
Leidenden im Krieg
eine Stimme.“
Wie wichtig das Gebet
in diesen Tagen des Krieges
und der Not ist, die er hervorgerufen
hat, zeigen Menschen, die
sich zu Friedensgottesdiensten
versammeln und Leidenden,
Fragenden, Zweifelnden,
Wütenden, Hilflosen, Ratlosen und
Ohnmächtigen und den vielen Toten
eine Stimme geben,
ihre Stimme.
„An die Kraft des Gebetes
und der Fürbitte glaube
ich mehr denn je“, sagt
der Publizist Gotthard Fuchs,
„allen Einwänden und
Widersachern zum Trotz.“
„Etwas unternehmen“
lauten Impuls und Devise:
nur ja sich nicht runterziehen
lassen. Dieser Logik des evolutiven
Überlebens und der elementaren
Mitmenschlichkeit zu folgen,
ist basal, wesentlich,
essenziell.
Erstaunlich genug, dass uns
Menschen dieser Impuls
eingegeben ist – trotz
all dessen, was an
Unmenschlichkeit
in unserer Welt
im Gange ist.