Henry Nouwen, Autor
vieler spiritueller Bücher,
schreibt einmal:
„Jesus gab, er gab das Brot,
er gab sich selbst, er hat sich
für uns hingegeben. Geben ist
ein Zeichen der Liebe. Wir müssen
uns geben. Wenn wir uns geben,
wegschenken, dann werden wir
nicht ärmer, sondern reicher.
Christsein bedeutet, dass wir
uns geben, uns hingeben,
uns verschenken. Das können
wir nur tun, weil Jesus sich
uns geschenkt hat und immer
wieder schenkt.“
Es gehört wohl zu einem
ganz entscheidenden Schritt
in der Entwicklung eines Menschen,
über sich selbst hinaustreten
zu können. Dabei geht es
immer auch darum, dass
ein Mensch in der Lage
ist, in der Sorge für andere
und auch für etwas Größeres
und Bedeutungsvolleres,
die eigenen Interessen
hintanzustellen.
Ein indischer spiritueller
Lehrer rät: „Üben Sie das
Wohlergehen anderer Menschen
vor das eigene zu setzen.“
Diese Worte verlangen
sehr viel von uns. Sie kommen
nicht jedem gelegen und rufen
möglichweise auch Widerspruch
hervor. Und dennoch bin ich
der Auffassung, dass dieser
Lehrer recht hat.
Das Wohlergehen anderer
Menschen vor das ganz eigene
zu stellen macht uns weit
und weitherziger. Eine solche
Haltung beschenkt uns mit
dem Gefühl von Zufriedenheit
und Erfüllung. Sie stellt eine
Gegenbewegung zu Geiz,
Gier, dem Kreisen um uns
selbst und der Fixierung
auf uns und unser persönliches
Wohlergehen dar.
Gerald Hüther schreibt
in seinem Buch: Lieblosigkeit
macht krank:
„Um unser Zusammenleben
so zu gestalten, dass es uns
selbst und anderen guttut,
bedarf es nur einer winzigen
Veränderung: Wir dürfen uns
nicht länger gegenseitig zu
Objekten unserer jeweiligen
Interessen und Absichten,
unserer Erwartungen und
Bewertungen und unserer
Belehrungen und Maßnahmen
machen.
Stattdessen könnten wir
versuchen, einander als Subjekte
zu begegnen. Dazu müssen wir
bereit und in der Lage sein,
uns selbst als autonome Personen
zu zeigen, in all unserer Verletzbarkeit,
mit unseren tiefsten Bedürfnissen,
mit der ganzen Vielfalt von Erfahrungen,
die jeder und jede von uns gemacht
hat und die unserer Einzigartigkeit
ausmachen.
Und genauso müssten wir auch jeden
anderen Menschen betrachten und ihn
zu erkennen versuchen: als autonome
Person, die genau wie wir selbst
als Suchende in einer Welt
unterwegs ist, in der man sich nur
allzu leicht verirren kann.“
Bei Jesus kommt
diese Haltung in seiner
Hingabe für andere
zum Ausdruck. Diese Hingabe
macht ihn weiter, lässt ihn
über sich selbst hinausschreiten
und seine ganze Energie
in den Dienst des anderen
stellen.
Seine Hingabe beginnt
damit, dass er nicht daran
festhält, wie Gott zu sein.
Vielmehr, dass er davon
absieht und uns Menschen
gleich wird, in allem, außer
der Sünde, sagt Paulus.
Seine Hingabe endet
damit, dass er sich gänzlich
selbst vergisst, an seinem
eigenen Leben nicht
festhält, sondern einen
Tod stirbt, der uns
allen zu Nutzen sein
soll. In dieser letzten
Hingabe verwirklicht
er sich gänzlich selbst
und vollendet seinen
gottgegebenen
Auftrag.
Nichts liegt Jesus
näher als uns Menschen
dazu einzuladen, einander
hinzugeben, zum Brot
füreinander zu werden,
einander so zu lieben
und zu begegnen, wie
er die Menschen geliebt
hat und ihnen begegnet
ist.
Wir haben viele Möglichkeiten,
diese Hingabe an den anderen
Menschen in unserem eigenen Leben
einzuüben. Viele Möglichkeiten,
uns hinzugeben, uns selbst zu
vergessen und ganz bei
unserem Gegenüber
zu sein.
Der eine tut es mit Haut
und Haaren. Der andere
eher unaufdringlich. Jeder
muss für sich herausfinden,
auf welche Weise es für ihn
möglich und auch stimmig
ist.
Für alle aber dürfte
das eine gelten:
Wenn wir uns hingeben,
geben wir nicht unsere
Fülle, wir geben gebrochenes
Brot, wir geben uns in unserer
Gebrochenheit, wir geben uns
in unserer eigenen Not. –
Aber indem wir uns darin
verschenken, werden wir
zum Brot für die andere.
Was damit gemeint ist,
führt uns die in diesen
Wochen viel zitierte
Zeitenwende vor Augen.
Menschen leiden,
viele noch unter
den Auswirkungen der
Pandemie und anderer
Katastrophen, die
sie in den vergangenen
beiden Jahren heimgesucht
haben.
Andere leiden, unter
den Ungerechtigkeiten eines
heimtückischen und mörderischen,
zerstörerischen Krieges unter dem
Bösen in dieser Welt
und seinen ganz
verschiedenen
Gesichtern.
Die Zeitenwende schafft
einen Raum, indem wir alle
über uns hinauswachsen,
und die Fähigkeit zu einem
solidarischen Handeln
entwickeln, wie es für viele
fremd geworden ist.
Die Zeitenwende schafft
die Chance für uns Menschen,
neu zu lernen über uns selbst
hinauszuwachsen, auf etwas
Größeres und Bedeutungsvolleres
hin, als uns selbst – auf die
Zukunft des Menschen
und dieser Welt.
Von dem Ergreifen
dieser Chance geht etwas
Schönes aus. Etwas Einladendes.
Da sind viele gerne dabei.
Das kann sogar Lust machen.
Lust auf Gemeinschaft,
bei der Hingabe ein Dienst
für andere und nicht weniger
ein Dienst für mich selbst
ist. Selbstverwirklichung
bedeuten kann.
Vermächtnis, heißt
ein Gedicht von Lothar Zenetti:
Seht, das Brot, das wir
hier teilen, das ein jeder
von uns nimmt, ist uns
von dem Herrn gegeben,
immer will er bei uns sein.
Seht, das Brot, das wir
hier teilen, das ein jeder
von uns nimmt, ruft nach Brot,
um zu ernähren,
alle Hungernden der Welt.
…
Seht, was wir heut hier
vollziehen, was wir miteinander
tun, will den Tod des Herrn
bezeugen, bis er wiederkommt
in Kraft.
Seht, was wir heut hier
feiern, was wir miteinander
tun, will uns neu mit ihm
verbünden, dass wir tun,
was er getan.