Ein frommer Wunsch.
Zu fromm, um wahr zu
sein: Alle sollen eins sein.
Diese Welt und ihre
Menschen sind es nicht.
Zu einem großen Teil
nicht. Und die Kirche
ist es auch nicht.
Nicht einmal
Gemeinden
sind es.
Das ist Fakt.
So ist das Leben.
Wohin ich blicke,
entdecke ich immer
auch:
Zerrissenheit,
Feindschaft,
Uneinigkeit,
Trennung,
Spaltung,
Zerwürfnis,
Bruch,
Differenzen,
Abstand,
und Streit.
Der Krieg in der Ukraine
ist ein Beispiel von vielen,
dass fromme Wünsche
im Sand verlaufen
müssen.
Sie verkennen
die Wahrheiten dieser
Welt. Unterschätzen
die Macht des Bösen.
Die Teilung der Christenheit
ist und bleibt der große
Skandal in den Augen
vieler in ihren Kirchen engagierter
Menschen. Sie macht Kirche
unglaubwürdig. Schadet
ihrem Ansehen, wie
viele andere Dinge
in ihr auch.
Wie viele Beziehungen
unter Menschen gehen
in die Brüche, weil kein
Zusammenhalt mehr
da ist, weil Menschen
sich auseinandergelebt
haben. Es keine
gemeinsamen Nenner
mehr für sie gibt.
Hinzu kommt die ganz
eigene innere Zerrissenheit
eines Menschen, der mit
sich nicht mehr im Reinen
ist; der aus dem Gleichgewicht
geraten ist; der nicht mehr
in sich selber zur Ruhe
findet.
Ein frommer Wunsch.
Zu fromm, um wahr zu
sein: Alle sollen eins sein.
Doch ginge es nicht
gerade darum, dass der Mensch
und mit ihm diese Welt wieder
zu ihrem inneren Gleichgewicht
zurückfinden? Zu dieser Balance,
die jeder Versuchung zur
Zerrissenheit wehren
kann?
Solange der einzelne
Mensch mit sich nicht
eins ist, solange ist es auch
die Welt um ihn herum nicht,
kann es nicht sein, und die
Welt im Großen auch nicht,
denn das fehlende innere
Gleichgewicht eines Menschen
hat Auswirkungen
nach außen. Zieht
seine zerstörenden
Kreise. Wirkt
toxsisch.
Ein frommer Wunsch.
Zu fromm, um wahr zu
sein: Alle sollen eins sein.
Der Wunsch Jesu
verwirklicht sich über den
einzelnen Menschen und mit ihm.
Niemals an ihm vorbei und
ohne ihn. Das hat dann
Folgen, Konsequenzen
für alle Beteiligten.
Nicht dass uns
solche Momente fremd
wären: Zeiten, in den
ich mein Leben als vollkommen
stimmig erfahre und mich selbst
eins mit mir und allem was ist
und sich um mich herum
bewegt.
Das sind besondere Momente,
die mich glauben lassen, dass
Jesu Ansinnen doch nicht nur
ein frommer Wunsch ist,
der niemals in Erfüllung
gehen wird.
Es gibt immer wieder
diese Augenblicke, in denen
der Himmel die Erde berührt
und wir einen Hauch dessen
verspüren dürfen, was Jesus
mit seinem Wunsch, dass alle
ein seien, gemeint hat.
Für mich ist dies ein
Spaziergang am frühen
Morgen durch den Bruch.
Die Ruhe und die Stille,
die mich in dieser Zeit
umfängt, lässt mich innerlich
weit werden und frei.
Auch ein Gottesdienst in
der Gemeinde, zusammen mit
Kindern und Jugendlichen,
schönen und stimmigen
Liedern und Menschen,
die beherzt ihren Glauben
feiern, lässt in mir ein Gefühl
von Aufgehoben- und
Geborgensein
entstehen.
Ganz zu schweigen von
Momenten der Begegnung
mit Menschen, die zu meinem
Leben gehören, mit denen
ich Freude und Leid teilen
kann und die einfach da sind
und für die ich da sein
darf. Sie kommen dem
Wunsch Jesu merkbar
nah.
Gibt es Zeiten dieses
inneren Glücks auch in
Ihrem ganz eigenen Leben?
Wann haben Sie das letzte
Mal eine solche Zufriedenheit
mit sich und der Welt erfahren
können?
Wann war Sie mit sich selbst
so richtig eins und auch mit
anderen und auch mit Gott?
Nennen Sie mir einen
Menschen, der nicht in sich die
Sehnsucht danach trägt,
diese Stimmigkeit
seines Lebens
zu erfahren.
Ein frommer Wunsch.
Zu fromm, um wahr zu
sein: Alle sollen eins sein.
Nein. Es ist ein Wunsch,
mit dem Jesus unserem
Sehnen entgegenkommt.
Und ich glaube, dass
er auch weiß, dass wir
selbst nicht in der Lage
sein werden, die eigene
innere Zerrissenheit
und die unserer Welt
zu besiegen, ansonsten
würde er Gott nicht
darum bitten, dass
die Liebe, mit der er
uns geliebt hat, auch
in uns sei.
Pierre Stutz hat ein
ausdrucksvolles Gebet
formuliert, das meine
Gedanken abzurunden
scheint.
"Eintauchen
in Deine göttliche Hoffnungskraft
heißt jeden Tag neu auftauchen
für eine zärtliche Gerechtigkeit
Im Einklang mit sich leben
wohltuende Balance fördern
entfernt uns nicht vom Mitgefühl
bestärkt uns All-ein-s zu sein
Bewege Du uns zum aufrechten Gang
lass uns intuitiv-authentisch werden
stärke unsere heilsame Zivilcourage
im unbequemen Widerstand für Frieden
Lass uns wirklich glücklich werden
im originellen Entfalten eines
humorvoll-mitfühlenden Daseins
das viele Hoffnungskreise zieht."