Weihnachten
Es ist bereits das
zweite Weihnachtsfest in Folge,
das wir nicht unbefangen
feiern können.
Zu viel lastet auf uns Menschen,
vor allem doch die Einschränkungen,
die mit der Pandemie einhergehen
und uns in den vergangenen
Wochen wieder zu härteren
und mehr einschränkenden
Maßnahmen haben greifen
lassen.
Das macht traurig.
Das lässt verzweifeln.
Viele aggressiv und ungehalten
werden. Verständnislos
und auch rücksichtslos.
Eine Frage drängt sich
mir in meine Gedanken:
Haben Menschen jemals
tatsächlich und wirklich
vollkommen uneingeschränkt
Weihnachten feiern können?
Gab es nicht immer wieder
Schatten, die sich auf
dieses Fest gelegt haben und
uns in unserer Freude
haben verhalten reagieren
lassen?
Wer offenen Auges einmal
zurückblickt, dem wird es
auffallen, dass es keine Zeit gegeben
hat, die nicht Anlass dazu gewesen
wäre, Weihnachten verhalten
zu feiern und deren Ereignisse
sich nicht wie ein Schatten
auf die Weihnachtsfreude gelegt
und sehr gemischte Gefühle
in Menschen wachgerufen
hätten.
In einer Predigt zum ersten Advent
schreibt Dietrich Bonhoeffer 1931:
„Selten ist eine Zeit in der Geschichte
weltanschaulich so erfüllt, bewegt und
zerrissen gewesen wie die unsrige.
Und selten ist man weltanschaulich
so gebunden, so doktrinär, so intolerant
gewesen wie heute.
Man zeigt, dass man nicht verstanden
hat, worum es in diesen scheinbar
so wunderlichen Dingen geht.
Und es ist ja zweifelsohne ein einziges
großes Thema, um das sich unser
weltanschauliches Denken bewegt.
Und das ist der zukünftige Mensch.
Wir alle sind uns wohl während der
letzten weltgeschichtlichen Ereignisse
über eines klar geworden, nämlich,
dass wir gegenwärtig an einer
Wende der Zeiten stehen, der
offenbar der gegenwärtige Mensch,
wie er nun einmal ist,
nicht gewachsen ist.
Technik und Wirtschaft sind
selbstständige Gewalten geworden,
die den Menschen zu vernichten
drohen. Die großen Verwicklungen
der Völker treiben Völker in ihren
Untergang hinein und doch
scheint kein Mensch mächtig
genug, dies Schicksal aufzuhalten.
Und auch den Religionen bliebt
es versagt, auch nur einen Schritt
darüber hinauszuführen.“
Klare Worte.
Mahnende Worte.
Weckende Worte.
Gesprochen vor
mehr als 90 Jahren.
Könnte man sie nicht
eins zu eins übernehmen
und ebenso in unsere
ganz eigene Zeit
hineinsagen, weil sie
gleichermaßen die Zerrissenheit
und die Ratlosigkeit von
uns Menschen heute
aufweisen angesichts der
großen Herausforderungen,
die sich uns in den Weg
stellen?
Später, kurz vor seiner
Hinrichtung durch die
Nazis verfasst Bonhoeffer
ein Gebet:
„Herr Gott, großes Elend
ist über mich gekommen.
Meine Sorgen wollen mich
ersticken. Ich weiß nicht ein noch
aus. Gott sei gnädig und hilf.
Gib Kraft zu tragen, was du
schickst. Lass die Furcht nicht
über mich herrschen.
Ich traue deiner Gnade
und gebe mein Leben ganz
in deine Hand. Mach du mit
mir, wie es dir gefällt
und wie es gut für mich ist.
Ob ich lebe oder sterbe,
ich bin bei dir und du bist
bei mir, mein Gott.
Herr, ich warte auf dein
Heil und auf dein Reich.“
Weihnachten macht
vor den Konditionen des Menschlichen
nicht halt. Verschließt nicht die Augen
vor ihnen. Vielmehr in diese
Zustände hinein
wird Gott Mensch.
Damals wie heute.
Und wir müssen uns klar
werden, wie wir angesichts
der Krippe im Stall von
Bethlehem künftig
menschliches Leben
mit seinen Höhen und
Tiefen denken wollen.
Was soll Grund unseres
Menschsein sein? Wo wollen
wir uns künftig verankern?
Wo unseren Halt finden?
Wie wollen wir miteinander
umgehen, einander als
Menschen begegnen?
Wie tragen wir der
Schöpfung Rechnung?
Wenn Gott in Jesus Christus
Raum in dieser Welt und ihren
Wirklichkeiten beansprucht –
und sei es nur in einem Stall,
„weil sonst kein Raum in
der Herberge war“ – so
fasst er in diesem engen Raum
die ganze Wirklichkeit
der Welt zusammen und
offenbart unseren letzten
Grund: Jesus Christus.
Das geht wirklich über
alles Begreifen: Die Geburt
dieses Kindes soll die große
Wendung aller Dinge
herbeiführen, soll der ganzen
Menschheit Heil und Erlösung
bringen.
Weihnachten lässt eine neue
Hoffnung nach einer neuen Art
Mensch entstehen und kommt damit
unserer Sorge um die Zukunft
entgegen.
Der Mensch soll nicht untergehen.
Die Mächte der Wirklichkeit
sollen ihn nicht niedertreten und
knechten. Heil soll dem Menschen
geschehen.
Späterhin stellt Bonhoeffer
die Frage:
„Wer wird Weihnachten
recht feiern? Wer alle Gewalt,
alle Ehre, alles Ansehen, alle
Eitelkeit, allen Hochmut, alle
Eigenwilligkeit endlich niederlegt
an der Krippe.“
Gott schämt sich der Niedrigkeit
des Menschen nicht. Er geht mitten
hinein, er wählt einen Menschen
zu seinem Werkzeug und tut
seine Wunder dort, wo man
sie am wenigsten erwartet.
Wie z.B. in diesem Stall
in Bethlehem,
weg von dem Augenmerk
vieler. Sichtbar nur für
einige, die am Rande
stehen und die, die
es wirklich sehen
wollen.
Und auch das ist Weihnachten:
Dass in allen Einschränkungen
und Befangenheiten, dem
Kummer und der Sorge, die Menschen
überkommen, die Wunder
Gottes sich wie von selbst Raum
schaffen. Und dass es plötzlich
anfängt licht zu werden, in
dem, was zuvor dunkel gewesen
war. Und wir beginnen, einen
Grund zu spüren, der uns hält,
der uns trägt, der uns zuversichtlich
bleiben lässt, dann, wenn nichts
mehr geht und nichts mehr von
uns abverlangt wird, als dass
wir uns Hoffnung und Vertrauen
bewahren.
Wir bleiben geborgen von
wunderbaren Mächten und
erwarten getrost, was kommen
mag, denn Gott ist bei uns,
an diesem Abend und
am kommenden Morgen.
Jeden Tag.