Man kann auf
verschiedene Weise von
Gott sprechen. Man kann
über ihn diskutieren. Man
kann von seinem Wirken
erzählen, und man kann sich
einfach darüber freuen,
dass er da ist und aus lauter
Freude ein Lied
anstimmen.
Manchmal ertappe ich
mich selbst dabei. Ich gehe
durch den Wald oder die
Weinberge, da kommt plötzlich
ein Lied über meine Lippen.
Ich summe es.
Ich singe es.
Ich pfeife es.
Manchmal wundere
ich mich selbst darüber,
weil ich mir das Lied
nicht ausgesucht habe.
Es ist einfach da.
Einfach so. Das bringt
mich innerlich zum
Schmunzeln.
Zumeist sind des
Lieder des Lobes.
Ich lobe meinen Gott.
Das hört sich sehr
fromm an, als wenn ich
keine andere Lieder
kennen würde, außer
kirchliche. Das stimmt
aber nicht.
Lieder lernt man kennen,
indem man sie singt.
Weniger indem man sie
spricht. Was ist schon
das bloße Sprechen gegenüber
dem Gesang. Wir alle haben
es ja eine Zeitlang erleben
können. Und immer noch
erklingen unsere Stimmen
sehr verhalten, hinter vorgehaltener
Hand, hinter aufgesetzten Masken.
Maria erlebt, dass bei
Gott kein Ding unmöglich ist.
Sie bricht in Jubel aus.
Sie, die Frau aus Nazareth -
wer kennt schon diese
Stadt, ganz zu schweigen
dieses Mädchen?! –
ist von Gott geliebt.
Sie ist in Gott verliebt.
Einfach hingerissen.
Das löst ihre Zunge.
Das lässt sie tanzen.
Tanzen und singen:
„Meine Seele preist
die Größe des Herrn!“
Ich kann diese Frau
sehr gut verstehen. Ich kann
annähernd nachempfinden, was in ihr
vorgeht. Unfassbares. Gänzlich
zu begreifen vermag ich es
jedoch nicht.
Manche mögen denken:
Die hat gut singen.
Die ist fein raus.
Aber was ist mit all
denen unter uns,
denen die Töne im
Hals stecken bleiben?
Denen das Leben,
seine Widrigkeiten,
den Mund verschlossen
haben?
Der Gott, von dem
Maria singt, will nicht
hoch hinaus. Er will
hinunter. Er hat ein Herz
für die Menschen, die am
Boden liegen. Er schaut
auf die Armen. Er
hat die Schwachen
im Blick.
Maria weiß aus eigener
Erfahrung, was Niedrigkeit
bedeutet. Sie ist ihr nicht
fremd. Niedrigkeit und all
die Erfahrungen, die mit
ihr verbunden sind, kennt
sie, von der Niederkunft im Stall
bis zur Gottesferne unter dem
Kreuz.
Aber das verklebt
ihr nicht die Lippen.
Das verschließt ihr
nicht den Mund.
Im Gegenteil:
Sie singt.
Sie singt das Lied
ihres Lebens, ganz in der
Gewissheit, dass mit dem,
was sie ist, das letzte Wort
noch nicht gesprochen ist.
Im Gegenteil:
Neues ist im Werden.
Sie geht mit Gott
schwanger.
Wer immer trotz aller
schlechten Erfahrungen in
ihr Lied einstimmt, der setzt
auf etwas, das im Werden ist.
Der setzt auf die Schwangerschaft,
durch die Gott zur Welt
kommen soll. Der setzt
auf Gott!
Das Lied Marias hat es
in sich. Es ist ein Loblied
auf Gott, der nicht alles so
lässt, wie es ist. Gott stellt die
Welt auf den Kopf, oder
besser gesagt: Er stellt
sie wieder auf die Füße.
Er zwingt die Gebeugten
nicht in die Knie, er hilft
ihnen, dass sie wieder
auf die Beine kommen,
zum aufrechten Gang
gelangen können.
Gott erhöht die Niedrigen,
er sättigt die Hungrigen,
er stürzt die Mächtigen
von ihrem Sockel.
Das Magnifikat ist das
Lied einer befreiten Gesellschaft.
Revolutionär ist es, aber doch
so anders als die üblichen
Revolutionen:
Die Potentaten
werden nicht vernichtet,
sondern entmachtet.
Die Tyrannen werde nicht
umgebracht, sondern entthront.
Die Reichen werden nicht
beiseitegeschafft,
sondern gehen leer aus.
Da ist nicht zu spüren
von der Rache des kleinen
Mannes! Wo Gott zum Zuge
kommt, seine Herrschaft
sich Bahn bricht, da werden
die Armen zu ihrem Recht
kommen, dort sind Gerechtigkeit
und Barmherzigkeit zu finden.
Wer vor diesem Hintergrund
sein Leben lebt, versteht und angeht,
der lebt, der glaubt anders als einer,
der nur Katastrophen kommen sieht.
„Glaube ist wie ein Vogel, der singt,
wenn die Nacht noch dunkel ist“,
sagt ein indisches Sprichwort.
„Er singt in der Nacht auf den
Tag zu. Er hat Hoffnung in der
Kehle“ – wie Maria.
Sie lädt uns ein, in ihr
Lied einzustimmen, wenigstens
schon mal mitzusummen.
Es wird schon klingen, weil
einige kräftige Stimmen mit
dabei sind, die den Ton
halten, wie eben Maria,
die Frau am Anfang einer
Hoffnungsgeschichte, die
für uns alle geschrieben
steht.
Anregung zu dieser Predigt:
Franz Kamphaus