Da gibt es einen Satz
der Theologin Dorothee
Sölle, der mich, seit dem
ich ihn gelesen habe,
einfach nicht mehr loslässt
und der lautet:
Die größte Gefahr, die ich
unter uns wachsen sehe,
ist eine spirituelle Sache:
dass wir uns selber
für handlungsunfähig
erklären und in dem Gefühl
der eigenen Ohnmacht bleiben.
Vielleicht trennt uns nichts
so sehr von der Liebe als der
anthropologische Pessimismus,
der der Liebe nichts zutraut,
weil er nicht weiß, dass sie
„das von Gott in uns“
artikuliert.
Dieser Gedanke muss
ein wenig nur entschlüsselt
werden.
Es heißt da,
dass sich der Mensch
in einer spirituellen Krise
befindet.
In einer spirituellen Krise
zu sein bedeutet, keinen Sinn
mehr für sich ausmachen zu
können; die Orientierung,
die Richtung, den Fixpunkt,
auf den das Leben zusteuert,
aus dem Auge zu verlieren.
Gemeint ist das, was uns hält
und trägt, was uns bestehen
lässt und Grund unserer
Existenz darstellt. Das,
was das Miteinander
von Menschen schön und
angenehm macht.
Das, was schlussendlich
uns Menschen glücklich und froh
sein lässt und zufrieden.
Dem entgegen steht sehr oft
ein ungeheuerlicher Pessimismus
des Menschen. Man könnte
auch sagen die Angst des
Menschen vor der Zukunft,
die Angst davor, zu versagen,
nicht zu genügen. Sein Leben
auf Grund zu setzen,
zu scheitern.
Dieser Pessimismus
schlägt sehr oft um in
Resignation, in Aussichtlosigkeit
und Depression. Neusten
Untersuchungen sind derzeit
ca. 5% der Bevölkerung
im Alter von 18-65 Jahren
in Deutschland an einer
behandlungsbedürftigen
Depression erkrankt.
Dass sind ca. 3,1 Millionen
Menschen.
Vielleicht trennt uns nichts
so sehr von der Liebe als der
anthropologische Pessimismus,
der der Liebe nichts zutraut,
weil er nicht weiß, dass sie
„das von Gott in uns“
artikuliert.
Nichts ist so gottlos
wie der Satz: „Daran kann man
nichts machen, so ist es eben.“
In dieser Feststellung wird
die Verbundenheit mit Gott
geleugnet, die sich durchhaltende
Kraft, die immer wieder neu
aufsteht und das Leben
für alle einklagt.
Dorothee Sölle meint,
dass es die Liebe sei, die uns
der Gegenwart Gottes in unserem
Leben zu vergewissern vermag,
die uns die Kraft zu geben vermag,
uns immer wieder zu erheben
und das Leben zu wollen,
so wie es Gott für uns
auch will, aus Liebe.
In einem späteren Gedanken
formuliert sie:
Es ist zu kalt auf der Welt,
als dass wir meinen
könnten, es ließe sich ohne diesen
Mantel (der Liebe) leben.
Die Liebe Gottes, seine Gnade,
wärmt uns und sie lässt uns
zugleich am Mantel Gottes
mitstricken.
Dieses Wort führt mich
direkt zum Evangelium hin.
Jesus versichert.
„Ich liebe Euch!
Das, wonach ihr tief in
Eurer Seele hungert,
das vermag ich zu
stillen, durch meine
Liebe zu Euch!“
Nichts ist so fundamental
für das Leben eines Menschen
wie die Liebe.
Die Liebe gibt sich nicht
dem Pessimismus und
der Resignation hin.
Sie zeichnet sich aus
durch höchst aktive Haltungen.
Jene, wie sie Paulus in seinem
Brief an die Korinther z.B.
beschreibt:
„Die Liebe ist langmütig
und gütig. Sie ereifert sich nicht.
Sie prahlt und bläht sich nicht
auf.
Sie handelt nicht ungehörig, sucht
nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht
zum Zorn reizen und trägt
das Böse nicht nach.
Sie freut sich an der Wahrheit.
Sie erträgt alles, hofft alles,
hält allem stand.“ (vgl. 1 Kor 13 ff)
In der Tat, wer die Kraft
zur Liebe besitzt, den kann
so schnell nichts aus der
Bahn werfen, weil er Gott
an seiner Seite wissen
darf und dass er vor allem
und zuerst von ihm geliebt,
gewollt, gehalten ist.
Ein Weg aus der spirituellen
Krise heraus ist, dass der Mensch
dieses Bewusstsein neu in sich
wachruft: Ich bin von Gott
geliebt. Und nichts kann
mich scheiden von
dieser Liebe, von Gott.
Dorothee Sölle meint:
Diese tiefste Gewissheit
erfahren wir nicht, wenn wir
uns wie Kinder in den Mantel
Gottes wickeln wollen und dann
beim Erwachsenwerden
glauben, ihn nicht mehr
zu benötigen.
Der Mensch kann im Letzten nur
aus der Liebe Gottes bestehen.
Und diese hat ihren Ort,
mitten in dieser Welt,
mitten unter Menschen,
sollte ihn zumindest haben.
Das bedeutet, um im Bild
zu bleiben, dass jeder
von uns an diesem Mantel
der Liebe Gottes durch sein
Tun, durch sein Leben,
mitstrickt. Mitstricken
sollte.
Das Evangelium leitet
daraus die Einladung ab:
„Auch ihr sollt
einander lieben!“
Das ist gewiss
eine Herausforderung
für viele in einer Welt
und Gesellschaft, in der
der Egozentrismus so
sehr unterstützt und zu
zelebriert, zur Schau gestellt
zu werden scheint und
das ganz eigene
Wohl sehr oft an höchster
Stelle zu stehen kommt.
Der Sinn des Menschseins
besteht darin zu lieben:
Gott, den Nächsten,
wie sich selbst.
Ja, die Liebe macht
verwundbar und verletzbar.
Sie geht immer das Risiko
ein, enttäuscht zu werden.
Das hat die Liebe so an
sich.
Gott weiß darum.
Er hat es selbst erlebt.
Die Liebe zum Menschen,
seine Offenheit
dem Menschen gegenüber,
hat ihn ans Kreuz gebracht.
Liebe ohne Leiden,
das gibt es nicht.
Jesus hat es am
eigen Leib zu spüren
bekommen.
Und dennoch:
Wir kommen nicht aus
ohne sie, denn in ihr
leben wir, in ihr bewegen
wir uns, durch sie sind wir
erst das, was wir vor
Gott sein sollen:
Menschen mit Herz,
der Hingabe,
der Selbstaufgabe,
der Zuneigung,
der Zärtlichkeit,
der Liebe fähig.
Dabei ist die Liebe
nicht nur etwas Geistiges.
Sie umfasst den ganzen
Menschen. Seinen Körper,
seine Sinne, seine Gefühle,
jede Pore seines Leibes.
Liebe und Erotik gehören
zusammen und auch die Freude
daran, diese Liebe zu leben,
sie zu kosten, sie zu feiern
und zu zelebrieren.
Wir müssen die Kultur
der Liebe neu einüben
lernen.
Die Kirche hat in
der Vergangenheit viel
zu wenig Rücksicht darauf
genommen und die Kostbarkeit
der Liebe, ihre Schönheit
und Anmut durch Regeln
und Vorschriften geradezu
unterbunden. Sie hat
die Liebe gestört.
Umso klarer und entschiedener
formuliert Papst Franziskus in
seinem Lehrschreiben über
die Liebe in der Familie,
„Amoris Laetitia“,
dieses Defizit und lädt dazu
ein, die Liebe wieder zu entdecken
in all ihrer Schönheit und
der Kraft zur Verzauberung
des Menschen.
Guido Groß schreibt
in einem seiner Gedichte:
In höchsten Gefühlen
will ich dich lieben
betend und singend
in deiner Liebe sein
Doch du antwortest
Ihr bleibt in meiner Liebe,
wenn ihr liebt
wie ich euch geliebt
Der Mitmensch also
genau ist das Problem
Aber weil du es gesagt
hast will ich es versuchen.
Wir werden
immer wieder tausend
Ausflüchte und Ausreden
haben, um die Liebe
zu unterlassen.
Das stärkste Gegenargument
zur Liebe scheint der Mitmensch
selber zu sein. Der Andere, der neben
mir. Auch hier scheint mir
das Wort von Dorothee
Sölle gut zu passen:
Die größte Gefahr, die ich
unter uns wachsen sehe,
ist eine spirituelle Sache:
dass wir uns selber
für handlungsunfähig
erklären und in dem Gefühl
der eigenen Ohnmacht bleiben.
Vielleicht trennt uns nichts
so sehr von der Liebe als der
anthropologische Pessimismus,
der der Liebe nichts zutraut …