Jesus bekennt Farbe

Jesus bekennt Farbe - Lk 4,14-21



Unbekannt ist er

schon lange nicht mehr.

Er ist in aller Munde.

Man redet über ihn.

Und mit Sicherheit

nicht nur Gutes.


In der Langweile des

Tages bietet er genügend

Stoff zum Erzählen, zum

Spekulieren, zum

Mutmaßen, zum

Tratschen.


Und jetzt sollen sie

ihn zum ersten Mal

selbst erleben, Jesus.


Es treibt ihn in seine

Heimat zurück, nach Galiläa.

Und kaum, dass er einen Schritt über

die Grenze seines Ortes Nazareth

gesetzt hat, ist das Gerede

da. Die Luft ist zum

Schneiden, so sehr

ist man auf ihn

gespannt.


Die Synagoge ist der Ort,

an dem Jesus Farbe bekennt.

Doch zunächst steht er auf,

nimmt das Buch in seine

Hand, liest vor.


Ein Ausschnitt aus

dem Buch Jesaja ist es,

den er im Anschluss

auszulegen hat. Und Jesus

tut das, nachdem sich alle

gesetzt haben und darauf

gespannt sind, was er

ihnen zu sagen hat.


Jesaja sagt:

Der Geist des Herrn ruht

auf mir, denn er hat mich

gesalbt. Er hat mich gesandt.

Zu den Armen.

Zu den Gefangenen.

Zu den Blinden.

Zu den Zerschlagenen.


Jesus sagt:

Der, von dem hier die

Rede ist, das bin ich.

Ich und kein anderer.


Ich kann mir sehr gut

vorstellen, dass es dabei

manchem die Sprache

verschlagen hat. Schließlich

kennt man ihn doch nur

allzu gut, den eigenen

Sohn der Stadt,

den Sohn des

Zimmermanns.


Die Reaktion folgt

auf dem Fuß. Nur ein

wenig später wird man

erfahren, dass sie ihn

die Stadt hinaustreiben

werden. Ihn am liebsten

den Berg hinabstürzen

wollen.


Was Jesus zu sagen

hat, erscheint anmaßend,

überzogen.

Dabei wurde er nur kurz

zuvor von Gott selbst

bestätigt. Bei seiner

eigenen Taufe unter

einem offenen Himmel.


Das starke Selbstbewusstsein

Jesu kommt nicht aus ihm

selbst hervor. Es kommt

von Gott, in ihm allein

findet er diese Stärke,

sich zu behaupten.


Für viele ist das zu

viel des Guten und das, was

Jesus für sich in Anspruch

nimmt, einfach nicht

hinnehmbar:


Dass er der Retter sei.

Dass er der Befreier sei.

Dass er der Messias sei.

Dass er der Heiland sei.

Dass er der Erlöser sei.


Denn nichts anderes steckt

ja hinter diesem ins Wort

gebrachte Programm:


Ich bin gesandt,

damit ich den Armen die

frohe Botschaft bringe,

den Gefangenen die

Entlassung verkünde,

die Blinden sehend mache,

den Zerschlagenen

Freiheit bringe.


Woran stoßen sie sich

eigentlich, die Leute aus

Nazareth? Was lässt sie

so außer sich sein?

Ich kann es nicht

sagen.


Vielleicht ahnen,

dass sie in der Vergangenheit

schon zu vielen Blendern

auf den Leim gegangen

sind und eine weitere Enttäuschung

keiner mehr von

ihnen ertragen

könnte.


Das aber ist nur

eine Hypothese, auf die

es jetzt weniger ankommt.

Spannender erscheint mir

das Programm, das Jesus

offenlegt und mit dem er

unter den Menschen

auftritt.


Wer Jesu Weg mitverfolgt

und mit ihn zu den Menschen

geht, der kann erleben,

wie er dieses Programm

umsetzt. Wie Worte

zu konkreten Taten

werden und dass dem

tatsächlich so ist,

dass Menschen wieder

zurück ins Leben

finden:

Arme,

Gefangene,

Blinde,

Zerschlagene.


Jesu Programm ist

für sie gemacht. Für sie

ist er gekommen, um sie

herauszuholen aus

dem Unzumutbaren,

dem Absurden,

dem Sinnlosen,

und dem Falschen,

dem Verzerrten,

dem Nichtssagenden,

dem Verstrickten,

und dem Verrat,

der Demütigung,

dem Krankmachenden,

der Lüge,

und der Schuld,

der Inkonsequenz,

der Widersprüchlichkeit,

der Unwahrhaftigkeit,

und der Richtungslosigkeit.


Mit diesem Programm

Jesu bezieht Gott selbst

Stellung zum Menschen

und seiner oftmals so

tragischen Existenz.

Damals wie heute.



Wer sind die, die

sich gegen ein solches

Programm der Befreiung

in unserer Zeit auflehnen

könnten?


Manchmal Mittäter

krankmachender Zustände

und die Seele zerstörender

Systeme, von denen

unsere Kirche eins

darstellt.

Manchmal Nutznießer

unterdrückender Missstände

und ausbeutender Interessen und

Egoismen, wie sie auch in unserer

Kirche vorzufinden sind.

Manchmal Blinde, blind

für die knallharten Wirklichkeiten,

in denen Leben stattfinden muss

und nicht sollte. Wie sie auch

unter den Verantwortlichen

in unserer Kirche zu finden

sind.


Und wir?


Die Vorstellung ist reizvoll,

selbst unter den Menschen in

der Synagoge den ganz eigenen

Platz einzunehmen und

Jesus zuzuhören.


Wie würden wir auf sein

Wort reagieren?

Was würde uns von dem,

was er zu sagen hat, ansprechen?

Wodurch würden wir uns

herausfordern lassen?

Zu welchem Tun?

Zu welchem Neuanfang?

Zu welcher Umstellung des

eigenen Lebens?


Vielleicht könnten unsere

Überlegungen diesbezüglich

in eine Richtung laufen,

wie sie Dietrich Bonhoeffer

aufweist, wenn er schreibt:


„Gott will das Leben und er

gibt dem Leben eine Gestalt,

in der es leben kann, weil es

sich selbst überlassen sich nur

vernichten kann.

Diese Gestalt stellt das Leben

aber zugleich in den Dienst

anderen Lebens und der

Welt.“


Hier schließt sich dann

möglicherweise wieder

der Kreis und wir sind

bei dem angekommen,

wie Jesus selbst sein

Leben verstanden hat:

als ein in den Dienst

anderen Lebens und

der Welt gestelltes

Leben.


Was für ein Programm!

Ein wahres Lebensprogramm!


Ein Programm, das etliche

Vertreter unserer Kirche

schon lange vergessen

haben.


Ich schäme mich

für sie und große Bereiche

dieser Institution,

die dabei ist immer

mehr den Boden

des Evangeliums zu

verlassen und immer weniger

das zu schützen, was zu schützen

Gottes ureigenstes Anliegen

von Anfang an gewesen war

und in Zukunft auch bleiben

wird: der Mensch.


Beten wir für all die,

die sich im Dickicht

der Machenschaften und

Intrigen, der Unglaubwürdigkeit

und Lüge, der Perversion

und der Widersprüchlichkeit 

verloren haben,

vor allem - beten wir für die

Menschen, die ihnen hilflos

ausgeliefert waren und

möglichweise noch

immer sind.


Und bitten wir Gott auch

für uns selbst, dass wir

gestärkt aus dieser Krise,

in der unsere Kirche

steckt, hervorgehen

können. 








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