Es war einmal ein König.
Der schickte seinen Feldherrn
mit Soldaten los und befahl
ihnen Folgendes:
„Geht und vernichtet
meine Feinde!“
Und so zog der Feldherr
mit den Soldaten los.
Es vergingen viele Monate
und keine Nachricht drang
zum König.
Da schickte er endlich
einen Boten hinterher.
Der sollte erkunden,
was geschehen war.
Als der Bote das feindliche
Gebiet erreicht hatte, traf er auf
ein Lager, aus dem schon
von weitem das fröhliche
Treiben eines Festes zu
hören war.
Gemeinsam an einem Tisch
fand er dort den Feldherrn
und seine Soldaten zusammen
mit den Feinden des Königs.
Der Bote ging zum
Feldherrn seines Königs
und stellte ihn zur Rede:
„Was soll das? Du hast
deinen Befehl nicht ausgeführt!
Du solltest die Feinde vernichten.
Stattdessen sitzt ihr zusammen
und feiert.“
Da sagte der Feldherr
zum Boten: „Ich habe
den Befehl des Königs
sehr wohl ausgeführt.
Ich habe die Feinde vernichtet-
ich habe sie zu Freunden
gemacht!“
Wenn du deinen Feind
besiegen willst, dann mache
ihn zum Freund. - Ein kluger
Gedanke. Doch der Weg
dahin, kann sehr oft
ein mühsamer sein.
Mühsam, weil der Mensch
sich dabei sehr oft selbst
im Weg steht. Vor allem
doch seine Gedanken.
Der größte Feind von allen,
so scheint es mir sehr oft,
das sind unsere ganz
eigenen Gedanken.
Gedanken über das Leben.
Gedanken über uns selbst.
Gedanken über unser Gegenüber.
Ein Mann fand eines
Tages seine Axt nicht mehr.
Er suchte und suchte, aber sie war verschwunden.
Der Mann wurde ärgerlich und
verdächtigte den Sohn seines Nachbarn,
die Axt genommen zu haben.
An diesem Tag beobachtete
er den Sohn seines Nachbarn ganz genau.
Und tatsächlich: Der Gang des Jungen
war der Gang eines Axtdiebs.
Die Worte, die er sprach,
waren die Worte eines Axtdiebs.
Sein ganzes Wesen und sein
Verhalten waren die eines
Axtdiebs.
Am Abend fand der Mann
die Axt durch Zufall hinter
einem großen Korb in seinem
eigenen Schuppen.
Als er am nächsten Morgen
den Sohn seines Nachbars
erneut betrachtete, fand er weder
in dessen Gang, noch in seinen
Worten oder seinem Verhalten
irgendetwas von einem Axtdieb.
Der größte Feind von allen,
so scheint es mir sehr oft,
das sind unsere ganz
eigenen Gedanken.
Und noch bevor wir uns
über die Liebe zum Feind,
Gedanken machen,
sollten wir über den Feind in
uns selbst nachgedacht
haben.
Sollte es uns dann
tatsächlich gelingen,
diesen inneren Feind
zum Freund werden
zu lassen, ich glaube,
dann hätten wir einen
entscheidenden Schritt auf
den anderen, den wir als
unseren Feind ausmachen
möchten, getan.
Innere Feinde:
Sorgen und Selbstzweifel;
der Gedanke, dass ich nichts
auf die Reihe bekomme;
dass ich mich immer wieder
mit anderen vergleiche und
die Vorstellung, was
andere über mich
denken.
Der Zweifel daran, dass
mich ein anderer Mensch
lieben könnte.
Werte, Maßstäbe und Urteile,
die ich irgendwann übernommen
habe, ohne sie groß zu
hinterfragen:
„Das tut man nicht!“
„Ein Mann weint nicht!“
„Streng dich an!“
„Gib niemals auf!“
„Zeig keine Schwäche!“
„Du bist, was du hast!“
„Das gehört sich nicht
für ein anständiges
Mädchen!“
„Das kannst du sowieso
nicht.“
Solche Glaubenssätze
vergiften den Menschen
von innen heraus.
Sie treiben
einen Menschen in eine
Gedankenspirale, der er
nur allzu schwer entrinnen
kann.
Sie belasten das Miteinander
und die Begegnung unter
Menschen.
Sie schaffen
Feinde dort, wo
möglichweise keine
sind.
„Nichts, was von außen
in den Menschen hineinkommt,
kann ihn unrein machen,
sondern was aus dem Menschen
herauskommt, das macht
ihn unrein“, meint Jesus.
Und er lehrt uns,
dass es auf den Geist ankommt,
auf das Innere, auf unser Denken.
Im Inneren findet der Kampf
zwischen Gut und Böse
statt.
Jesus befreit uns
aus dem Gedankenkarussell,
in dem er uns zeigt,
dass der Mensch vor allen Gedanken,
mit denen er seinen eigenen Wert in Frage
stellen will, ein von Gott geliebter Mensch
ist.
Jesus ist gekommen, um uns
zu sagen, dass am Anfang
die Liebe war und ist und er lädt
uns ein, zunächst mit dieser
ursprünglichen Liebe in
Berührung zu kommen.
Diese erste Liebe sagt:
„Ich habe dich schon geliebt
bevor du jemanden lieben
konntest oder bevor du von
jemandem Liebe empfangen
konntest.
Ich habe dich so angenommen,
wie du bist. Du bist angenommen.
Du bist geliebt, ganz gleich ob
dich auch Mutter, Vater, Bruder,
Schwester, Schule, Kirche,
Gesellschaft lieben.
Du bist aus meiner Liebe
herausgeboren. Da gibt es
nichts, das dich ablehnen
würde. Kannst du meiner
Liebe trauen?“
„Traue ich der Liebe Gottes
zu mir und meinem Leben?“
Das ist der Dreh- und Angelpunkt,
die Frage, an deren Antwort
sich alles entscheidet, auch
meine Fähigkeit, einen
anderen zu lieben und ihn
unter den Segen Gottes
zu stellen.
Wenn wir mit dieser
ersten Liebe unseres Lebens
in Kontakt kommen, kommen
wir auch mit der Mitte unseres
Wesens in Kontakt und werden
frei dafür, uns selbst anzunehmen,
den anderen zu lieben und
selbst aus Feinden Freude
werden zu lassen.
Henri Nouwen schreibt
zur Feindesliebe:
„Feinde sind insofern Feinde
für uns, als wir sie von der Liebe
Gottes ausklammern. Wenn wir
Gott mit Gottes Liebe lieben,
können wir nicht länger die
Menschen unterteilen in
diejenigen, die Gottes Liebe
verdienen, und diejenigen,
die sie nicht verdienen.
Wenn uns aufgeht, dass Gott
uns zuerst geliebt hat,
kann niemand von
dieser Liebe ausgeschlossen
werden.“
„Die Liebe ist die einzige
Kraft, die dazu fähig ist, einen
Feind zum Freund zu machen“,
sagt Martin Luther King Jr.,
„von Natur aus erschafft
die Liebe und baut auf.
Ja, die Liebe wird es sein,
die unsere Welt und unsere
Zivilisation retten wird,
die Liebe sogar zu
unseren Feinden.“
Tatsächlich sind wir
aufgerufen, unsere Mitmenschen
mit einer göttlichen Liebe zu lieben,
mit der Liebe Gottes.
Der Feind bleibt nur so lange
Feind, wie wir selbst noch
nicht die Liebe Gottes voll und
ganz erkannt haben.
Henri Nouwen meint:
„Jedes Mal, wenn wir zum
Vergeben fähig sind und uns
nicht länger über und
gegen den anderen definieren,
treten wir tiefer in das Haus
Gottes ein, das das Haus
der Liebe ist.“
Feindesliebe beginnt
mit kleinen, konkreten,
einzelnen Handlungen in Richtung
des Wissens, dass wir von Gott
geliebte Menschen sind.
Diesem Wissen können
wir vertrauen und dann
werden sich unsere Gefühle
dem anschließen.
Der Kern unseres
Glaubens besteht darin,
freie Menschen zu sein –
frei von der Macht, die
wir unseren Feinden geben,
den inneren, wie den äußeren,
frei dazu, jeden Menschen
zu lieben. Ja zu ihm zu
sagen, aus ganzem
Herzen, wie Gott
auch zu uns Ja
gesagt
hat.