Innere Feinde

Innere Feinde - Lk 6,27-38


Es war einmal ein König.

Der schickte seinen Feldherrn

mit Soldaten los und befahl

ihnen Folgendes:

„Geht und vernichtet

meine Feinde!“

 

Und so zog der Feldherr

mit den Soldaten los.

Es vergingen viele Monate

und keine Nachricht drang

zum König.

 

Da schickte er endlich

einen Boten hinterher.

Der sollte erkunden,

was geschehen war.

Als der Bote das feindliche

Gebiet erreicht hatte, traf er auf

ein Lager, aus dem schon

von weitem das fröhliche

Treiben eines Festes zu

hören war.

 

Gemeinsam an einem Tisch

fand er dort den Feldherrn

und seine Soldaten zusammen

mit den Feinden des Königs.

 

Der Bote ging zum

Feldherrn seines Königs

und stellte ihn zur Rede:

„Was soll das? Du hast

deinen Befehl nicht ausgeführt!

Du solltest die Feinde vernichten.

Stattdessen sitzt ihr zusammen

und feiert.“

 

Da sagte der Feldherr

zum Boten: „Ich habe

den Befehl des Königs

sehr wohl ausgeführt.

Ich habe die Feinde vernichtet-

ich habe sie zu Freunden

gemacht!“

 

Wenn du deinen Feind

besiegen willst, dann mache

ihn zum Freund. - Ein kluger

Gedanke. Doch der Weg

dahin, kann sehr oft

ein mühsamer sein.

Mühsam, weil der Mensch

sich dabei sehr oft selbst

im Weg steht. Vor allem

doch seine Gedanken.

 

Der größte Feind von allen,

so scheint es mir sehr oft,

das sind unsere ganz

eigenen Gedanken.

 

Gedanken über das Leben.

Gedanken über uns selbst.

Gedanken über unser Gegenüber.

 

Ein Mann fand eines

Tages seine Axt nicht mehr.

Er suchte und suchte, aber sie war verschwunden.

Der Mann wurde ärgerlich und

verdächtigte den Sohn seines Nachbarn,

die Axt genommen zu haben.

 

An diesem Tag beobachtete

er den Sohn seines Nachbarn ganz genau.

Und tatsächlich: Der Gang des Jungen

war der Gang eines Axtdiebs.

Die Worte, die er sprach,

waren die Worte eines Axtdiebs.

Sein ganzes Wesen und sein

Verhalten waren die eines

Axtdiebs.

 

Am Abend fand der Mann

die Axt durch Zufall hinter

einem großen Korb in seinem

eigenen Schuppen.

 

Als er am nächsten Morgen

den Sohn seines Nachbars

erneut betrachtete, fand er weder

in dessen Gang, noch in seinen

Worten oder seinem Verhalten

irgendetwas von einem Axtdieb.

 

Der größte Feind von allen,

so scheint es mir sehr oft,

das sind unsere ganz

eigenen Gedanken.

Und noch bevor wir uns

über die Liebe zum Feind,

Gedanken machen,

sollten wir über den Feind in

uns selbst nachgedacht

haben.

 

Sollte es uns dann

tatsächlich gelingen,

diesen inneren Feind

zum Freund werden

zu lassen, ich glaube,

dann hätten wir einen

entscheidenden Schritt auf

den anderen, den wir als

unseren Feind ausmachen

möchten, getan.

 

Innere Feinde:

Sorgen und Selbstzweifel;

der Gedanke, dass ich nichts

auf die Reihe bekomme;

dass ich mich immer wieder

mit anderen vergleiche und

die Vorstellung, was

andere über mich

denken.

Der Zweifel daran, dass

mich ein anderer Mensch

lieben könnte.

Werte, Maßstäbe und Urteile,

die ich irgendwann übernommen

habe, ohne sie groß zu

hinterfragen:

 

„Das tut man nicht!“

„Ein Mann weint nicht!“

„Streng dich an!“

„Gib niemals auf!“

„Zeig keine Schwäche!“

„Du bist, was du hast!“

„Das gehört sich nicht

für ein anständiges

Mädchen!“

„Das kannst du sowieso

nicht.“

 

Solche Glaubenssätze

vergiften den Menschen

von innen heraus.

Sie treiben

einen Menschen in eine

Gedankenspirale, der er

nur allzu schwer entrinnen

kann.

Sie belasten das Miteinander

und die Begegnung unter

Menschen.

Sie schaffen

Feinde dort, wo

möglichweise keine

sind.


„Nichts, was von außen

in den Menschen hineinkommt,

kann ihn unrein machen,

sondern was aus dem Menschen

herauskommt, das macht

ihn unrein“, meint Jesus.


Und er lehrt uns,

dass es auf den Geist ankommt,

auf das Innere, auf unser Denken.

Im Inneren findet der Kampf

zwischen Gut und Böse

statt.


Jesus befreit uns

aus dem Gedankenkarussell,

in dem er uns zeigt,

dass der Mensch vor allen Gedanken,

mit denen er seinen eigenen Wert in Frage

stellen will, ein von Gott geliebter Mensch

ist.


Jesus ist gekommen, um uns

zu sagen, dass am Anfang

die Liebe war und ist und er lädt

uns ein, zunächst mit dieser

ursprünglichen Liebe in

Berührung zu kommen.


Diese erste Liebe sagt:


„Ich habe dich schon geliebt

bevor du jemanden lieben

konntest oder bevor du von

jemandem Liebe empfangen

konntest.

Ich habe dich so angenommen,

wie du bist. Du bist angenommen.

Du bist geliebt, ganz gleich ob

dich auch Mutter, Vater, Bruder,

Schwester, Schule, Kirche,

Gesellschaft lieben.

Du bist aus meiner Liebe

herausgeboren. Da gibt es

nichts, das dich ablehnen

würde. Kannst du meiner

Liebe trauen?“


„Traue ich der Liebe Gottes

zu mir und meinem Leben?“

Das ist der Dreh- und Angelpunkt,

die Frage, an deren Antwort

sich alles entscheidet, auch

meine Fähigkeit, einen

anderen zu lieben und ihn

unter den Segen Gottes

zu stellen.


Wenn wir mit dieser

ersten Liebe unseres Lebens

in Kontakt kommen, kommen

wir auch mit der Mitte unseres

Wesens in Kontakt und werden

frei dafür, uns selbst anzunehmen,

den anderen zu lieben und

selbst aus Feinden Freude

werden zu lassen.


Henri Nouwen schreibt

zur Feindesliebe:


„Feinde sind insofern Feinde

für uns, als wir sie von der Liebe

Gottes ausklammern. Wenn wir

Gott mit Gottes Liebe lieben,

können wir nicht länger die

Menschen unterteilen in

diejenigen, die Gottes Liebe

verdienen, und diejenigen,

die sie nicht verdienen.

Wenn uns aufgeht, dass Gott

uns zuerst geliebt hat,

kann niemand von

dieser Liebe ausgeschlossen

werden.“


„Die Liebe ist die einzige

Kraft, die dazu fähig ist, einen

Feind zum Freund zu machen“,

sagt Martin Luther King Jr.,

„von Natur aus erschafft

die Liebe und baut auf.

Ja, die Liebe wird es sein,

die unsere Welt und unsere

Zivilisation retten wird,

die Liebe sogar zu

unseren Feinden.“


Tatsächlich sind wir

aufgerufen, unsere Mitmenschen

mit einer göttlichen Liebe zu lieben,

mit der Liebe Gottes.

Der Feind bleibt nur so lange

Feind, wie wir selbst noch

nicht die Liebe Gottes voll und

ganz erkannt haben.


Henri Nouwen meint:

„Jedes Mal, wenn wir zum

Vergeben fähig sind und uns

nicht länger über und

gegen den anderen definieren,

treten wir tiefer in das Haus

Gottes ein, das das Haus

der Liebe ist.“


Feindesliebe beginnt

mit kleinen, konkreten,

einzelnen Handlungen in Richtung

des Wissens, dass wir von Gott

geliebte Menschen sind.


Diesem Wissen können

wir vertrauen und dann

werden sich unsere Gefühle

dem anschließen.


Der Kern unseres

Glaubens besteht darin,

freie Menschen zu sein –

frei von der Macht, die

wir unseren Feinden geben,

den inneren, wie den äußeren,

frei dazu, jeden Menschen

zu lieben. Ja zu ihm zu

sagen, aus ganzem

Herzen, wie Gott

auch zu uns Ja

gesagt

hat.


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