Engel

Engel - Apg 12, 1-11


Der Zuspruch Gottes steht.

Der Psalm bringt ihn ins Wort:

„Denn er befiehlt seinen Engeln,

dich zu behüten auf all deinen Wegen.

Sie tragen dich auf ihren Händen,

damit dein Fuß nicht an einen

Stein stößt.“ (Ps 91,12)


Wann haben Sie die Erfahrung

eines Engels in Ihrem Leben

machen dürfen?


Engel sind keine

Wesen mit Flügeln.

Sie sind Wesen mit menschlichen

Gesichtern und Gebärden.


„Hoch über den Köpfen

stehen sie auf Dächern,

sitzen auf Balkonen:

Engel mit ihren weit

geöffneten Flügeln.

Gut sichtbar.

Ein Bild der Hoffnung

und Versöhnung.

Sie haben Gegenstände

mitgebracht: ein Buch,

ein Körbchen,

eine Landkarte,

ein Kreuz …

sie sehen aus, wie Du und ich,

tragen Mäntel, Hüte und

haben augenscheinlich

gar nichts „Engelhaftes“

an sich.“


Jürgen Moltmann,

evangelischer Theologe,

spricht von zwei Arten von Engeln.

Einen, der sich der Vergangenheit

zuwendet, der Zukunft den Rücken

zukehrt und auf die Trümmerhaufen

der Geschichte blickt.


Der andere Engel ist

der Engel der Zukunft.

Er bereitet dem Kommen Gottes

in unserer Geschichte den Weg.

Der Engel der Zukunft ist

zugleich der „Engel des Bundes“,

der Engel der Verheißung,

dem Maria vertraut.


Der Engel der Zukunft

blickt nicht zurück mit

Trauer oder Zorn auf die Trümmer

unserer menschlichen Geschichte.

Er sieht mit großen Augen

in die Zukunft des kommenden Gottes

und kündigt die Geburt des

göttlichen Kindes an.


Der Engel der Zukunft

ist uns an unsere Seite gestellt.

Er begegnet uns weniger in

unseren Erfolgen und Siegen,

sondern zumeist in den Trümmern

unseres Lebens.


Beide Engel gehören

also zusammen:

der Engel der Vergangenheit

und der Engel der Zukunft.

Sie sind die zwei Gesichter

desselben einen Engel Gottes.


Jürgen Moltmann erzählt:

„Mir ist dieser Engel Gottes

vor genau 50 Jahren in einer kalten,

finsteren Baracke eines

Kriegsgefangenenlagers

in diesem Land bei Ostende

begegnet.


Als ich über die Trümmer

verzweifelte, die mein Volk im Krieg

überall angerichtet hatte,

wurde ich zu einer lebendigen

Hoffnung neu geboren.

Als ich mein zertrümmertes

Leben aufgeben wollte,

wurde ich von Gott aufgehoben.

Als ich mich von allen guten Geistern

verlassen fühlte, fand ich in

Jesus den Gott inmitten

meiner Not.“


Wann hatten Sie Ihre

ganz persönlich Begegnung

mit Ihrem Engel? Wann und wo?

Vor allem aber, in welchem

Zusammenhang?


Und was hat Ihnen dieser

Engel Gottes zu verstehen gegeben?

Was hat er Ihnen gesagt?

Worauf hat er Sie aufmerksam gemacht?

Wie gesagt: Engel sind Wesen

mit menschlichen Gesichtern

und Gebärden.


Später fügt Moltmann hinzu,

dass die wahre Lebenshoffnung

nicht aus schönen Gefühlen

heraus entsteht oder den

objektiven Möglichkeiten,

die unserem Handeln entspringen,

so unbegrenzt sie vielleicht

auch erscheinen mögen.


Wirkliche Hoffnung wird erweckt,

von Gott selbst, der über uns und

in uns und um uns herum ist,

näher als wir uns selbst

sein können.


Er begegnet uns als

das große Versprechen an dieses Leben

und diese Welt:

Es wird nichts umsonst sein –

es wird gelingen –

es wird zuletzt alles

gut werden!


Wir alle sind zu

dieser Hoffnung berufen.

Sie ist die Einladung an uns

zum Widerstand gegen den Tod

und gegen die Mächte des Todes

und eine Aufforderung, das Leben zu lieben,

es zu schützen: jedes Lebens,

das gemeinsame Leben,

das ganze Leben.


Gibt es diese Augenblicke,

in denen Sie am liebsten

laut aufbegehren möchten?

In denen Sie sich beherzt

gegen alles Lebenszerstörende

zur Wehr setzen möchten,

das Sie und auch andere Menschen

um Sie herum betrifft?

Welche Momente lassen

Sie aufschreien und fördern

Ihren Einsatz für das Leben?


Was meinen Sie –

kann man Hoffnung lernen?

Die wahre Hoffnung bringen

wir nicht von Geburt aus mit uns.

Lebenserfahrungen machen uns

möglicherweise klug, aber

nicht unbedingt zu hoffnungsvollen

Menschen. Aus diesem Grund

müssen wir ausziehen,

das Hoffen zu lernen.


Wir lernen zu hoffen,

wenn wir Ja zum Leben sagen.

Wir lernen zu hoffen, wenn wir

an die Zukunft glauben wollen.

Das klingt einfach, ist aber in den

verschiedenen Lebensumständen

sehr schwer.


Die Kraft der Hoffnung

erfahren wir, wenn wir gegen

die Gleichgültigkeit unserer Seele

ankämpfen. Die Hoffnung ist überall

dort am Werk, wo wir gegen

schlechte Aussichten „Dennoch“ sagen,

und das Leben wagen. Wahre Hoffnung

ist nicht naiv oder blind. Aber sie sieht

mehr als was an Dunkelheiten und

Trümmerfeldern in unserem

Leben immer wieder auftaucht.


Das indonesische Wort

für Hoffnung heißt:

„Durch den Horizont

hindurchblicken“.


Wahre Hoffnung sieht

durch die apokalyptischen Horizonte

unserer Welt hindurch.

Sie hat im Blick, dass alles neu

werden kann unter dem

Blick Gottes.


Das gibt unserem Tun

in dieser Welt einen Sinn.

Wer im Untergang der Welt

durch den Horizont hindurch

auf Gottes neue Welt blickt,

den ergreift die Hoffnung in der Gefahr.

Der handelt hoffnungsvoll

gegen die Gefahr.


Das ist in der Tat paradox:

Gegen den Augenschein

und gegen die Erfolglosigkeit,

weil wir in der Hoffnung mehr sehen,

als den Augen erscheint, wenn sie

nur in die Zukunft der Welt

blicken.


Darf ich annehmen, dass Menschen, die sich

in der Ukraine, im Iran oder sonst wo

auf dieser Welt gegen das

Unrecht, das Ihnen widerfährt, erheben,

von solch einer Hoffnung

erfüllt sind.


Auch als Christen handeln

wir der Zukunft Gottes entsprechend,

auf die wir hoffen, auch wenn

uns das in Widerspruch zu

unserer eigenen Welt bringt.


Als Christen tun wir,

was wir müssen, ob wir Erfolg

haben oder nicht. Noch einmal:

Wir handeln der Zukunft

Gottes entsprechend.

Dennoch! Trotzdem!


Donald Miller, amerikanischer

Schriftsteller und Publizist,

schreibt: „Eine Milliarde Sterne,

die von einem Gott gehalten werden,

der weiß, was er tut, sind eine

schöne Vorstellung.

Und während ich unter ihnen lag,

fiel mir auf, dass Gott irgendwo

da oben ist. Natürlich wusste

ich das immer schon, aber

dieses Mal spürte ich es,

es wurde mir so klar, wie man merkt,

dass man Hunger oder Durst hat.

Die Gotteserkenntnis sickerte

aus meinem Kopf in mein Herz.

Ich stellte mir vor, wie er

auf die Erde schaute – ein bisschen verärgert,

weil seine geliebte Menschheit

fremdgegangen war, ihn betrogen hatte,

aber zugleich hoffnungsvoll in sie verliebt,

bis über beide Ohren verknallt.“


Kennen Sie eine solche

Gottesoffenbarung aus Ihren

eigenen Erfahrungen? Wie hat sie sich

für Sie ereignet? Was hat Sie gar von

Gott in der Tiefe Ihres Herzens

überzeugt?


Der Grund zu hoffen,

liegt nicht in dem, was wir wollen,

wünschen und erwarten,

sondern darin, dass wir gewollt

und erwünscht sind und

dass wir erwartet werden.


Grund unseres Hoffens

ist die große, geduldige,

suchende und uns lockende Hoffnung

Gottes auf uns und unsere

ganze Schöpfung.


Wo immer wir uns

an der Hoffnung Gottes für uns

und diese Welt festmachen,

können wir dies in unserem

Herzen verspüren. Und wie?


Wir spüren, dass da einer ist,

der auf uns wartet, der auf uns hofft,

der uns etwas zutraut.


Gott schweigt nicht.

Gott ist nicht tot.

Gott wartet.

Er ist geduldig mit uns

und duldet uns.

Er lässt uns Zeit

und schenkt uns Zukunft.

Gott wartet, dass wir

heimkommen. Heimkommen,

wie einst der verlorene Sohn.

Das scheint mir das große

Wunder der Weltgeschichte zu sein:

Dass es mit uns noch gar nicht

aus ist.


Unser Gott wird so lange

unruhig sein, bis er seine

Ruhe findet in uns und in

seiner Welt.


Die Hoffnung steht heute

in Gefahr sich zu verlieren,

weil sie immer mehr vereinsamt,

individueller wird, aber

kein gemeinsames Gut

mehr ist.


Obwohl wir es alle wissen,

dass wir nur gemeinsam

und in Zusammenarbeit

überleben können, setzten

sich heute die Interessen

einzelner Gruppen

wieder durch.


Das Interesse an der gemeinsamen

Zukunft der Menschheit geht

verloren, indem sich viele

in ihre eigenen Geschichten

zurückziehen und der Beliebigkeit

den Vortritt lassen.


„Der Zerfall der Gemeinschaft

ist der sicherste Weg ins

Verderben“, unterstreicht

Moltmann, „zuerst stirbt

der Wald, dann sterben die

Kinder, dann stirbt die

Menschheit aus.“


Nicht nur um unseretwillen, nein:

um Gottes willen dürfen wir

die gemeinsame Hoffnung,

die alles umgreifende Hoffnung

nicht aufgeben.


Auch die Hoffnung, die

unsere Kirche betrifft.

Sie ist nicht Kirche um

ihrer selbst willen.

Sie ist Kirche um des

Reiches Gottes willen.


Es tut der Kirche nicht

gut, dies zu vergessen.

Sie kann dagegen überall

dort zum Segen werden,

wenn sie sich

immerfort daran

erinnern lässt.

Umkehrt dort, wo

sie sich auf Irrwegen

befindet.

Die Chance

des Neubeginns

nutzt.


Das gilt in gleicher Weise

für uns als Gemeinde.

Das gilt für die Ökumene.

Für jeden und jede

einzelne von uns.


Lassen Sie mich enden mit

einem Wort des Apostels Paulus

an seine Gemeinde in Ephesus.


Der Gott Jesu Christi,

unseres Herrn, der Vater der Herrlichkeit,

gebe euch den Geist der Weisheit

und Offenbarung, damit ihr

ihn erkennt.


„Er erleuchte die Augen

eures Herzens, damit ihr versteht,

zu welcher Hoffnung ihr durch

ihn berufen seid, welchen Reichtum

die Herrlichkeit seines Erbes

den Heiligen schenkt

und wie überragend groß

seine Macht sich an uns,

den Gläubigen, erweist

durch das Wirken seiner

Kraft und Stärke.“

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