Der Zuspruch Gottes steht.
Der Psalm bringt ihn ins Wort:
„Denn er befiehlt seinen Engeln,
dich zu behüten auf all deinen Wegen.
Sie tragen dich auf ihren Händen,
damit dein Fuß nicht an einen
Stein stößt.“ (Ps 91,12)
Wann haben Sie die Erfahrung
eines Engels in Ihrem Leben
machen dürfen?
Engel sind keine
Wesen mit Flügeln.
Sie sind Wesen mit menschlichen
Gesichtern und Gebärden.
„Hoch über den Köpfen
stehen sie auf Dächern,
sitzen auf Balkonen:
Engel mit ihren weit
geöffneten Flügeln.
Gut sichtbar.
Ein Bild der Hoffnung
und Versöhnung.
Sie haben Gegenstände
mitgebracht: ein Buch,
ein Körbchen,
eine Landkarte,
ein Kreuz …
sie sehen aus, wie Du und ich,
tragen Mäntel, Hüte und
haben augenscheinlich
gar nichts „Engelhaftes“
an sich.“
Jürgen Moltmann,
evangelischer Theologe,
spricht von zwei Arten von Engeln.
Einen, der sich der Vergangenheit
zuwendet, der Zukunft den Rücken
zukehrt und auf die Trümmerhaufen
der Geschichte blickt.
Der andere Engel ist
der Engel der Zukunft.
Er bereitet dem Kommen Gottes
in unserer Geschichte den Weg.
Der Engel der Zukunft ist
zugleich der „Engel des Bundes“,
der Engel der Verheißung,
dem Maria vertraut.
Der Engel der Zukunft
blickt nicht zurück mit
Trauer oder Zorn auf die Trümmer
unserer menschlichen Geschichte.
Er sieht mit großen Augen
in die Zukunft des kommenden Gottes
und kündigt die Geburt des
göttlichen Kindes an.
Der Engel der Zukunft
ist uns an unsere Seite gestellt.
Er begegnet uns weniger in
unseren Erfolgen und Siegen,
sondern zumeist in den Trümmern
unseres Lebens.
Beide Engel gehören
also zusammen:
der Engel der Vergangenheit
und der Engel der Zukunft.
Sie sind die zwei Gesichter
desselben einen Engel Gottes.
Jürgen Moltmann erzählt:
„Mir ist dieser Engel Gottes
vor genau 50 Jahren in einer kalten,
finsteren Baracke eines
Kriegsgefangenenlagers
in diesem Land bei Ostende
begegnet.
Als ich über die Trümmer
verzweifelte, die mein Volk im Krieg
überall angerichtet hatte,
wurde ich zu einer lebendigen
Hoffnung neu geboren.
Als ich mein zertrümmertes
Leben aufgeben wollte,
wurde ich von Gott aufgehoben.
Als ich mich von allen guten Geistern
verlassen fühlte, fand ich in
Jesus den Gott inmitten
meiner Not.“
Wann hatten Sie Ihre
ganz persönlich Begegnung
mit Ihrem Engel? Wann und wo?
Vor allem aber, in welchem
Zusammenhang?
Und was hat Ihnen dieser
Engel Gottes zu verstehen gegeben?
Was hat er Ihnen gesagt?
Worauf hat er Sie aufmerksam gemacht?
Wie gesagt: Engel sind Wesen
mit menschlichen Gesichtern
und Gebärden.
Später fügt Moltmann hinzu,
dass die wahre Lebenshoffnung
nicht aus schönen Gefühlen
heraus entsteht oder den
objektiven Möglichkeiten,
die unserem Handeln entspringen,
so unbegrenzt sie vielleicht
auch erscheinen mögen.
Wirkliche Hoffnung wird erweckt,
von Gott selbst, der über uns und
in uns und um uns herum ist,
näher als wir uns selbst
sein können.
Er begegnet uns als
das große Versprechen an dieses Leben
und diese Welt:
Es wird nichts umsonst sein –
es wird gelingen –
es wird zuletzt alles
gut werden!
Wir alle sind zu
dieser Hoffnung berufen.
Sie ist die Einladung an uns
zum Widerstand gegen den Tod
und gegen die Mächte des Todes
und eine Aufforderung, das Leben zu lieben,
es zu schützen: jedes Lebens,
das gemeinsame Leben,
das ganze Leben.
Gibt es diese Augenblicke,
in denen Sie am liebsten
laut aufbegehren möchten?
In denen Sie sich beherzt
gegen alles Lebenszerstörende
zur Wehr setzen möchten,
das Sie und auch andere Menschen
um Sie herum betrifft?
Welche Momente lassen
Sie aufschreien und fördern
Ihren Einsatz für das Leben?
Was meinen Sie –
kann man Hoffnung lernen?
Die wahre Hoffnung bringen
wir nicht von Geburt aus mit uns.
Lebenserfahrungen machen uns
möglicherweise klug, aber
nicht unbedingt zu hoffnungsvollen
Menschen. Aus diesem Grund
müssen wir ausziehen,
das Hoffen zu lernen.
Wir lernen zu hoffen,
wenn wir Ja zum Leben sagen.
Wir lernen zu hoffen, wenn wir
an die Zukunft glauben wollen.
Das klingt einfach, ist aber in den
verschiedenen Lebensumständen
sehr schwer.
Die Kraft der Hoffnung
erfahren wir, wenn wir gegen
die Gleichgültigkeit unserer Seele
ankämpfen. Die Hoffnung ist überall
dort am Werk, wo wir gegen
schlechte Aussichten „Dennoch“ sagen,
und das Leben wagen. Wahre Hoffnung
ist nicht naiv oder blind. Aber sie sieht
mehr als was an Dunkelheiten und
Trümmerfeldern in unserem
Leben immer wieder auftaucht.
Das indonesische Wort
für Hoffnung heißt:
„Durch den Horizont
hindurchblicken“.
Wahre Hoffnung sieht
durch die apokalyptischen Horizonte
unserer Welt hindurch.
Sie hat im Blick, dass alles neu
werden kann unter dem
Blick Gottes.
Das gibt unserem Tun
in dieser Welt einen Sinn.
Wer im Untergang der Welt
durch den Horizont hindurch
auf Gottes neue Welt blickt,
den ergreift die Hoffnung in der Gefahr.
Der handelt hoffnungsvoll
gegen die Gefahr.
Das ist in der Tat paradox:
Gegen den Augenschein
und gegen die Erfolglosigkeit,
weil wir in der Hoffnung mehr sehen,
als den Augen erscheint, wenn sie
nur in die Zukunft der Welt
blicken.
Darf ich annehmen, dass Menschen, die sich
in der Ukraine, im Iran oder sonst wo
auf dieser Welt gegen das
Unrecht, das Ihnen widerfährt, erheben,
von solch einer Hoffnung
erfüllt sind.
Auch als Christen handeln
wir der Zukunft Gottes entsprechend,
auf die wir hoffen, auch wenn
uns das in Widerspruch zu
unserer eigenen Welt bringt.
Als Christen tun wir,
was wir müssen, ob wir Erfolg
haben oder nicht. Noch einmal:
Wir handeln der Zukunft
Gottes entsprechend.
Dennoch! Trotzdem!
Donald Miller, amerikanischer
Schriftsteller und Publizist,
schreibt: „Eine Milliarde Sterne,
die von einem Gott gehalten werden,
der weiß, was er tut, sind eine
schöne Vorstellung.
Und während ich unter ihnen lag,
fiel mir auf, dass Gott irgendwo
da oben ist. Natürlich wusste
ich das immer schon, aber
dieses Mal spürte ich es,
es wurde mir so klar, wie man merkt,
dass man Hunger oder Durst hat.
Die Gotteserkenntnis sickerte
aus meinem Kopf in mein Herz.
Ich stellte mir vor, wie er
auf die Erde schaute – ein bisschen verärgert,
weil seine geliebte Menschheit
fremdgegangen war, ihn betrogen hatte,
aber zugleich hoffnungsvoll in sie verliebt,
bis über beide Ohren verknallt.“
Kennen Sie eine solche
Gottesoffenbarung aus Ihren
eigenen Erfahrungen? Wie hat sie sich
für Sie ereignet? Was hat Sie gar von
Gott in der Tiefe Ihres Herzens
überzeugt?
Der Grund zu hoffen,
liegt nicht in dem, was wir wollen,
wünschen und erwarten,
sondern darin, dass wir gewollt
und erwünscht sind und
dass wir erwartet werden.
Grund unseres Hoffens
ist die große, geduldige,
suchende und uns lockende Hoffnung
Gottes auf uns und unsere
ganze Schöpfung.
Wo immer wir uns
an der Hoffnung Gottes für uns
und diese Welt festmachen,
können wir dies in unserem
Herzen verspüren. Und wie?
Wir spüren, dass da einer ist,
der auf uns wartet, der auf uns hofft,
der uns etwas zutraut.
Gott schweigt nicht.
Gott ist nicht tot.
Gott wartet.
Er ist geduldig mit uns
und duldet uns.
Er lässt uns Zeit
und schenkt uns Zukunft.
Gott wartet, dass wir
heimkommen. Heimkommen,
wie einst der verlorene Sohn.
Das scheint mir das große
Wunder der Weltgeschichte zu sein:
Dass es mit uns noch gar nicht
aus ist.
Unser Gott wird so lange
unruhig sein, bis er seine
Ruhe findet in uns und in
seiner Welt.
Die Hoffnung steht heute
in Gefahr sich zu verlieren,
weil sie immer mehr vereinsamt,
individueller wird, aber
kein gemeinsames Gut
mehr ist.
Obwohl wir es alle wissen,
dass wir nur gemeinsam
und in Zusammenarbeit
überleben können, setzten
sich heute die Interessen
einzelner Gruppen
wieder durch.
Das Interesse an der gemeinsamen
Zukunft der Menschheit geht
verloren, indem sich viele
in ihre eigenen Geschichten
zurückziehen und der Beliebigkeit
den Vortritt lassen.
„Der Zerfall der Gemeinschaft
ist der sicherste Weg ins
Verderben“, unterstreicht
Moltmann, „zuerst stirbt
der Wald, dann sterben die
Kinder, dann stirbt die
Menschheit aus.“
Nicht nur um unseretwillen, nein:
um Gottes willen dürfen wir
die gemeinsame Hoffnung,
die alles umgreifende Hoffnung
nicht aufgeben.
Auch die Hoffnung, die
unsere Kirche betrifft.
Sie ist nicht Kirche um
ihrer selbst willen.
Sie ist Kirche um des
Reiches Gottes willen.
Es tut der Kirche nicht
gut, dies zu vergessen.
Sie kann dagegen überall
dort zum Segen werden,
wenn sie sich
immerfort daran
erinnern lässt.
Umkehrt dort, wo
sie sich auf Irrwegen
befindet.
Die Chance
des Neubeginns
nutzt.
Das gilt in gleicher Weise
für uns als Gemeinde.
Das gilt für die Ökumene.
Für jeden und jede
einzelne von uns.
Lassen Sie mich enden mit
einem Wort des Apostels Paulus
an seine Gemeinde in Ephesus.
Der Gott Jesu Christi,
unseres Herrn, der Vater der Herrlichkeit,
gebe euch den Geist der Weisheit
und Offenbarung, damit ihr
ihn erkennt.
„Er erleuchte die Augen
eures Herzens, damit ihr versteht,
zu welcher Hoffnung ihr durch
ihn berufen seid, welchen Reichtum
die Herrlichkeit seines Erbes
den Heiligen schenkt
und wie überragend groß
seine Macht sich an uns,
den Gläubigen, erweist
durch das Wirken seiner
Kraft und Stärke.“